Positionen japanischer Architektur: Junya Ishigami

Ein fast zehn Meter langer Tisch, der in seiner Filigranität die Grenze des Möglichen zu überschreiten scheint, ist Ausdruck des Architekturverständnisses unseres ersten Gastes bei den „Positionen japanischer Architektur“ 2014.

Minimierte Strukturen, die den Materialien das Maximum abverlangen stehen sinnbildlich für Junya Ishigamis Arbeiten. Der Bezug zur Natur ist dabei stets omnipräsent. Nicht selten verläuft der Übergang zur Architektur so fließend, dass Innen und Außen kaum zu unterscheiden sind.

Mit Ishigami startete die Vortragsreihe am Dienstag, 8. April in die neue Runde.

Junya Ishigami am Rednerpult während des Vortrags an der AKoeln

Im letzten Semester waren Jörg Gleiter, Go Hasegawa, Ryuji Nakamura, Hiroshi Nakao und Riken Yamamoto zu Gast an der AKoeln und zeigten, dass sich trotz unterschiedlicher Haltung und Architektursprache ein in Raumverständnis, Materialverwendung und Konstruktion gemeinsames, spezifisch japanisches Band durch alle diese Positionen zieht. Mit Junya Ishigami eröffnet erneut ein Architekt der jüngsten Architektengeneration die Vortragsreihe. 1974 geboren, arbeitete er zunächst bei Kazuyo Sejima von SANAA bevor er 2004 das eigene Büro Junya Ishigami +associates gründete. Der Vortrag zeigte eine Vielzahl der seitdem entstanden Projekte.

Photographie durch die Reihen der konzentriert zuhörenden Studenten der AKoeln

Für eine Galerie in Tokio entstand 2005 die Installation „Table“. Die fast zehn Meter lange Tischplatte aus drei Millimeter dünnem Aluminium ist nahezu unsichtbar und scheint die Objekte die auf ihr platziert sind wie schwerelos zu halten. Dabei ist deren Gewicht entscheidend: Die Anordnung der Objekte ist so vorgenommen, dass die vorgespannte Tischplatte durch die exakte Belastung zur ebenen Fläche wird.

Ersetzt man die Tischplatte durch das Dach eines Hauses, die Tischbeine durch tragende Stützen und die auf der Platte platzierten Gegenstände durch die ein Haus umgebende Natur oder seine Nutzung, so wird die Installation zum Sinnbild für Ishigamis Architektur. Das Kanagawa Institute of Technology (KAIT) bei Tokio ist die Übersetzung der Installation in Architektur.

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Das mit Lichtbändern durchzogene Dach des eingeschossigen Baukörpers wird von 305 im Längsdurchschnitt zwischen 80 und 160mm variierenden Stützen getragen. Unregelmäßig verteilen sich diese auf einer Fläche von 2000 qm und ersetzen jegliche Wand. Vergleichbar mit der Struktur eines lichten Waldes bilden sich aufgrund der unterschiedlich dichten Verteilung Erschließungszonen, gefasste und offene Bereiche. Das als Workshop dienende Gebäude fordert den Nutzer so auf sich den Raum anzueignen und seinen Bedürfnissen entsprechend zu gestalten. Abgrenzungen müssen unter Verwendung von Mobiliar selbst gezogen werden. Wie das aussehen kann, präsentiert Junya Ishigami in einem kurzen Video, das Sequenzen einzelner Teilbereiche des Gebäudes über einen längeren Zeitraum hinweg fotografiert. Deutlich wird darin vor allem die Bewegung innerhalb des Stützenwaldes. Sie ist selten geradlinig, starre Bewegungsschneisen existieren in dem scheinbar ungeordneten System nicht, wer von einem Punkt zum anderen möchte, bahnt sich seinen Weg und doch bilden sich Wege, die sich ähnlich wie bei Wildwechseln im Wald als Spuren an Stützen und Boden zeigen werden.

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Die vollverglaste Fassade, der daraus entstehende unabgelenkte Bezug zur Umgebung und die Tatsache, dass das Gebäude wirkt als bestünde es lediglich aus einem von Stützen getragenen Dach, lässt den Übergang von Innen und Außen verschwimmen.

Zusammen mit der aus der Natur abgeleiteten Raumstruktur wird so der Innenraum zum Außenraum.

Die Wirkung des Gebäudes übertüncht dabei keinesfalls die Funktion, sondern bietet der Nutzung einen zurückgenommenen, monochromen Rahmen und verschwindet wie die Tischplatte unter ihren Objekten.

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Das Spiel mit der Raumwahrnehmung durch Veränderung der Raumproportion verdeutlicht Junya Ishigami experimentell mit dem im Museum of Contemporary Art in Tokio installierten Projekt „Balloon“.

Der mit Helium gefüllte, fliegende Monolith erschafft durch die Bewegung im Raum stetig neue Räume. Dabei ist der Raum zwischen den das Objekt begrenzenden Wänden und dem Objekt wichtiger als das Objekt selbst. Der insgesamt eine Tonne schwere, aus Aluminium konstruierte, quaderförmige „Ballon“ scheint den Gesetzen der Schwerkraft entrückt und reiht sich so in das Spiel aus Wirklichkeit und Illusion der übrigen Arbeiten Ishigamis ein.

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Mit der ersten Position japanischer Architektur haben wir einen weiteren Vortrag gehört, bei dem wir durch unkonventionell gedachte Raumlösungen und Experimente, ausgeführt in einer Einheit bildenden monochromen Struktur das bereits bekannte, spezifisch japanische Band wiederentdecken konnten.

Den nächsten Vortrag hören wir am 29. April. Dann sind Shin Takamatsu und Takeshi Katagiri zu Gast an der AKoeln.

Text: Anna-Laura Oldenburg

Bilder: Yvonne Klasen, Junya Ishigami+associates