BÖHM SYMPOSIUM „ZEITSCHNITTE“ | Nachbericht

Anlässlich des 100. Geburtstages von Gottfried Böhm veranstaltete die Fakultät für Architektur der TH Köln in Kooperation mit der Zeitschrift „der architekt“ ein ganztägiges Symposium, welches bedingt durch die Corona Krise online stattfand.

Architekturwissenschaftler/innen der jüngeren Generation waren eingeladen über Schlüsselbauten Böhms in Kurzvorträgen zu referieren. Inhaltlich schloss sich das Symposium an die Sonderausgabe der Zeitschrift „der architekt“ zu Ehren des 100. Geburtstags von Gottfried Böhms an.

Durch den Tag moderierte Andreas Denk, Professor für Architekturtheorie an der TH Köln und Chefredakteur der besagten Zeitschrift.
Zum Hintergrund: Am 23. Januar diesen Jahres ist Gottfried Böhm 100 Jahre alt geworden. Sein Vater Dominikus Böhm war zu seiner Zeit schon ein anerkannter Kirchenbauer und Architekt. So fand  Gottfried Böhm früh Einstieg in die Praxis. Er studierte von 1942 bis 1946 an der Technischen Hochschule in München. Ein einjähriges Studium an der Akademie der Künste in München im Bereich der Bildhauerei folgte. Im Jahr 1948 heiratete er seine Frau Elisabeth Böhm, geborene Haggenmüller. Aus der Ehe gingen die vier Söhne Stephan, Peter, Markus und Paul Böhm hervor. Im Jahr 1986 wurde Gottfried Böhm als erster Deutscher mit dem renommierten Pritzker Preis für sein Lebenswerk ausgezeichnet.

Professor Andreas Denk eröffnete das Symposium mit einer Einleitung über die Bedeutung der Werke und das Schaffen Gottfried Böhms für unsere heutige Zeit. Weiter ging er auf den Werdegang, seine architektonische Stilentwicklung und seine Haltung ein während er die ersten Werke Böhms vorstellte. Die Einführung beendete er mit einer kurzen Vorstellung von visionären Entwürfen. Die Vortragsreihe eröffnete er mit dem Motto von Gottfried Böhm: „Die Suche nach dem Gemeinsamen“.

Als erster Referent wurde Dr. Martin Bredenbeck von Sabine Schmidt vorgestellt. Er beschäftigte sich mit dem Objekt Haus Böhm in Köln Weiss (1954 – 1955) – unter dem Titel: „Ein großes Vorbild“. Beginnend mit dem Elternhaus in Köln Marienburg, welches bereits im Stil des neuen Bauens von Dominikus Böhm konzipiert worden war, ging er auf die erkenntnisreiche Reise des Architekten nach New York ein – besonders auf seine Begegnungen mit Mies van der Rohe und Walter Gropius. In seinen nachfolgenden Entwürfen beschäftigte sich Böhm mit der Auseinandersetzung der neu gewonnenen Erkenntnisse. Waren doch besonders Sakralbauten ein sehr zentrales Thema der Böhms, verlagerte er für den Bau des neuen Familiendomizil seine Beschäftigungen dem Thema „Wohnen“. Die Erkenntnisse der Auslandsreise mündeten in einer neuen stilistischen Entwicklung seiner eigenen Form und Entwurfssprache.

Stefan Knecht, referierte über die Herz Jesu Kirche in Bergisch Gladbach – Schildgen (1957 – 1960) unter dem Titel „Bewahrung durch Erneuerung“ und berichtete zunächst von der Lage der Herz Jesu Kirche und deren Organisation. Bei der Herz Jesu Kirche – so Stefan Knecht – setzte Böhm sich nicht nur mit orientalisch anmutenden Elementen, sondern auch von üblichen Formvorstellungen einer Kirche in der frühen Bundesrepublik ab. Dieser konstitutive Einfluss der Architektur beleuchtete das Bild der ganzen Region, neue Kraft für Erhaltenswertes zu entfalten und Tradition mit Fortschritt gleichermaßen zu vereinen. Im Anschluss des Vortrages folgten gemeinsame Überlegungen darüber, ob die Inspiration zum Entwurf wie einer Anekdote nach, beim Spielen mit Bauklötzen mit seinem ältesten Sohn Stephan, entstand.

Nach einer Pause ging es weiter mit dem Vortrag über die Godesburg in Bonn – Bad Godesburg (1959 – 1961).  Der Vortrag von Alexander Kleinschrodt trug den Titel „Facettenreiches Flickwerk – Gottfried Böhms Ausbau der Godesburg im Spiegel aktueller Architektur – Diskurse“. Nach einem Abriss der Baugeschichte der Godesburg selbst, ging Kleinschrodt auf die nahtlose Symbiose des Baukomplexes von Gottfried Böhm mit der Ruine der Godesburg ein. Böhm zeigte Rücksicht auf das Vorhandene, indem er weder nachahmte und die Formsprache der Godesburg in ihrem historischen Zustand wiederholte, noch versuchte er sie zu rekonstruieren. Dem vergangenen Bauwerk ließ er die Würde und zollte es mit Respekt, gleichzeitig aber entwickelte er eine eigene Formsprache, die mit den historischen Überbleibseln in Korrespondenz steht.

Miriam Kremser beschäftigte sich mit dem Nevigeser Wallfahrtsdom (1963 – 1972) in Velbert – Neviges unter dem Titel: „Architekturwunder – Maria, Königin des Friedens“ Das monumentale Betonfaltwerk beeinflusste im Wesentlichen die Entscheidung der Jury 1986 zugunsten von Gottfried Böhm. In ihrem Vortrag ging Miriam Kremser zunächst auf die Außenwirkung und im Anschluss auf die innere Wirkung des Nevigeser Wallfahrtdoms mit seinen gefalteten Dachgewölben und den raumgreifenden Formen ein und berichtet von der besonderen Atmosphäre, Wirkung und räumlichen Einzigartigkeit des Wallfahrtdoms.  Neben diesem Aspekt thematisiert Kremser aber auch die Problematik mit einigen Baumängeln und deren Sanierung unter der Leitung von Sohn Peter Böhm, aber auch mit den sinkenden Besucherzahlen infolge des Abebbens des Wallfahrtslebens.

Elina Potratz porträtierte eine von den bisher vorgestellten Projekten abweichende Thematik – den sozialen Wohnungsbau am Beispiel der Wohnanlage in Köln Chorweiler (1966 – 1973). Ihr Vortrag trug den Titel „Das Betondorf“. In Zusammenarbeit mit dem Architekten Fritz Lill entstand die Wohnanlage „Seeberg – Nord“ in einem Problemviertel, welches sich in den 1970er Jahren überwiegend durch eintönige und zweckorientierte Architektur nach Bauwirtschaftsfunktionalismus auszeichnete. Die Intention des Entwurfes sollte darauf abzielen eine Identifikation zu ermöglichen – da zuvor keine vorhanden war. Kremser erläutert in ihrem Vortrag weiter, wie Gottfried Böhm anhand architektonischen Lösungsansätzen versuchte einen Hybridbau zu schaffen, der sich möglichst vielen Herausforderungen stellte und weshalb es trotz seiner lösungsorientierten Ansätzen teilweise noch ein sozialer Brennpunkt blieb.

Nach der Mittagspause referierte Dr. Alexandra Apfelbaum unter dem Titel „Rhapsodie in Blei“ über das Diözesanmuseum in Paderborn (1968 – 1975). Nach einer kurzen Einführung zum Bauwerk und dessen Lage am Marktplatz ging Frau Apfelbaum auf die vorgesehene Funktion des Rathauses ein. Das als Aushängeschild der Stadt vorgesehene Bauwerk wurde mit einer von Gottfried Böhm bisher selten genutzten Gestuften Bleifassade erbaut. Dr. Apfelbaum ergründete die möglichen Hintergründe der Kritik, welcher sich das Rathaus bis heute noch ausgesetzt sieht und eine Rehabilitation bisher ausblieb.

Maximilian Liesner, Chef vom Dienst der Zeitschrift „der architekt“, beschäftigte sich mit dem Rathaus und Kulturzentrum in Bocholt, welches zwischen den Jahren 1970 und 1978 entstand. Unter dem Titel – „Ein städtischer Platz“ berichtete er über eines der wenigen Gebäude aus Gottfried Böhms „High Tech Phase“. Liesner beschreibt, wie die Bürgerhalle sich für Bürger und Bürgerinnen zu einem städtischen Platz entfaltet und die Bedeutung für seine Gemeinde. Er geht auf den Einfluss ein, welches das Pariser Centre Pompidou von Piano, Rogers und Franchini mit den nach Außen verlagerten Installationsrohren an der Fassade auf den Entwurf Gottfried Böhms haben. Das multifunktionale, im industriellen Stil akzentuierte Gebäude wurde auch kritisch beleuchtet und es folgte eine Diskussion darüber, wie es um die Erhaltung der Rathäuser in Gemeinden heute und in Zukunft steht.

Weiter ging es mit Sina Brückner – Amin. Sie schilderte ihre Eindrücke während des Besuches der Gebetsstätte in Wigratzbad Maria vom Sieg (1972 – 1976). Der Vortrag mit dem Titel „Geistige Barrierefreiheit“ basierte auf den subjektiven Betrachtungen von Brückner – Amin auf einer analytischen Ebene. Auf der Suche nach der Moderne setzte sich Gottfried Böhm in der Gebetsstätte in Wigratz mit dem niederländischen Strukturalismus auseinander. Brückner – Amin erklärte, welche für die Entstehungszeit untypischen, architektonischen Formen das Bauwerk im Vergleich zu anderen Gebetsstätten seiner Zeit aufwies, ging auf die Besonderheit der Konstruktion des Bauwerkes ein und erläuterte, weshalb die variierenden Farbgestaltungen und die für ein geistiges Haus ungewöhnliche Raumhöhe und die Konstruktion in ihrer Begleitung den Wunsch nach „geistige Barrierefreiheit“ weckten. Im Anschluss folgte ein Austausch über die Betrachtung des Bauwerkes in seiner Zeit und Wirkung und mit der Auseinandersetzung der 1970er Jahre und aus der heutigen Sicht.

Nach einer Pause startete Christian Holl seine Präsentation mit dem Titel „Warten auf die Stadt“ und referierte über das Züblin – Haus in Stuttgart – Möhringen (1981 – 1985). Inmitten eines Neubaugebietes plante Gottfried Böhm das Züblin Haus für die Mitarbeiter der Baufirma Züblin – einen Ort mit städtischen Qualitäten. Das Besondere des Bauwerkes ist die Ausformulierung der Mitte. Bei diesem Entwurf fand Gottfried Böhm die Möglichkeit sich mit der Bauweise in Betonfertigteilen auseinanderzusetzen. Des Weiteren beschrieb Holl das große Bürogebäude in seinem Standort und die heutige Resonanz – besonders die der Halle des Gebäudes. Holl erläuterte in seinem Vortrag welche Einschränkungen durch den Denkmalschutz des Gebäudes mit sich bringen.

Der letzte Referent des Symposiums war Dr. Alexander Kierdorf. Mit dem Titel „Eine gelungene Stadtreparatur“ berichtete er von der Siedlung Gütergasse Köln – Porz – Zündorf (1972 – 1986). Zunächst ging Dr. Kierdorf auf die Historie des Ortes ein, um einen Bogen auf den Entwurf von Gottfried Böhm zu schlagen. Dr. Kierdorf erklärte, wie die als Zeilen entworfene, dörflich geprägten Siedlungen mit giebelständigen Reihenhäusern in die traditionsreiche Umgebung von Zündorf adäquat eingepasst wurden und warum sie als Aushängeschild fungierten. Gottfried Böhm betrieb eine Stadtreparatur, eingebettet in die traditionsreiche, bauliche Umgebung. Des Weiteren beschrieb Dr. Kierdorf, welche architektonischen Entwurfsmittel Böhm einsetzte, um der neu entstandenen, modernen Stadt trotz dichter Bebauung den Bewohnern Intimität und das Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit zu geben.

Prof. Andreas Denk ging zum Schluss des Symposiums auf den Entwurf des Reichstagsgebäudes in Bonn ein. Nachdem die Mauer fiel und Berlin zur Hauptstadt erklärt wurde, musste der Entwurf neu konzipiert werden. Die Symbolik der sphärioiden Kuppel begleiteten diesen Entwurf.

Denk schließt seinen Vortrag mit den Worten ab, dass die Architektur von Gottfried Böhm eine „zutiefst den Menschen und seinen existenziellen Bedingungen und Bedürfnissen zugewandtes, etwas grundsätzlich Menschliches inne [hat]. Das ist die wesentliche Eigenschaft des Schaffens von Gottfried Böhm geworden und geblieben.“ 

Denk moderierte mit einem Familienfoto, auf dem Paul Böhm, Gottfried Böhm, Dr. Paul Böhm – der ältere Bruder von Gottfried Böhm – und Stephan Böhm bei der Premiere des Films „die Böhms“ zu sehen sind, das Symposium ab.

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Text: Sevilay Özcay

Fotos: Dorothea Heiermann und Christopher Schroeer-Heiermann