architectural tuesday | Luigi Snozzi

Die soziale Logik des Raumes

Der architectural tuesday des Sommersemsters 2015 startete am 28. April die Vortragsreihe mit dem Thema `Die soziale Logik des Raumes` mit dem Ausnahmearchitekten Luigi Snozzi.

Mit großer Vorfreude wurde der 1932 in Mendrisio geborene Altmeister an der Fakultät erwartet. Der Karl-Schüssler-Saal war bis zum letzten Stehplatz ausgefüllt und mit großer Spannung erwarteten die Gäste den Auftakt der Reihe.

Die Begrüßung erfolgte durch Prof. Paul Böhm, der sichtlich erfreut war über das zahlreiche Erscheinen. Prof. Andreas Denk gab im Anschluss eine Einführung in das Thema und betonte die gesellschaftliche Relevanz der gebauten und nicht gebauten Umwelt und appellierte an die soziale Verantwortung von Architekten und Städteplanern. Aber auch im interdisziplinären Sinne sei die Architektur von Bedeutung, sodass zu dieser Vortragsreihe auch Gäste aus der Raumtheorie, Soziologie und Philosophie eingeladen wurden. Darauf folgte eine Vorstellung zur Person Snozzis als führender Theoretiker der Tessiner Schule sowie seiner wichtigsten Projekte von Sabine Schmidt, zuständig für die Presse- und Öffentlichkeitsarbeit der Architekturfakultät.

`Es gibt nichts zu erfinden, alles ist wiederzufinden`

Luigi Snozzis Vortrag mit dem Titel `Es lebe der Widerstand`, angelehnt an Max Frisch Buch `Ein Aufruf zur Hoffnung ist ein Aufruf zum Widerstand`, begann mit seinen Aphorismen die er als Gastprofessor an der ETH Zürich zwischen 19753 und 1975 geprägt hat und für viele Architekten als unumstößliche Weisheiten angesehen werden und bis heute seine Gültigkeit nicht verloren haben. Sie dienen als eine Art Anleitung wie man die Komplexität der zeitgenössischen Architektur begreifen kann aber auch mit welcher Verantwortung jeder Architekt die Stadt gestaltet soll. Mit Sätzen wie `Bauen bedeutet Zerstören, zerstöre mit Verstand und Freude`, beeinflusste er ganze Generationen von Architekturstudierenden, die ihren Lehrmeister 1985 zu einer Professur an der EPFL Lausanne verhalfen. Er betont, mit seinen Projekten möchte er `eine konkrete Antwort finden auf die langen Phasen der Entwicklung der Stadt und die heutige Zersiedlungen`.

Sein erstes vorgestelltes Projekt macht auf Missstände der damaligen Baukultur und deren strengen unausgereiften Vorgaben bei Wettbewerben aufmerksam. Die Wettbewerbsvorgaben zu einer Wohnbebauung in Brigasso, im schweizerischem Kanton Tessin, an dessen Wettbewerb er 1972 ungefragt teilnahm, kehrte er geschickt ins Gegenteil und setzte anstatt drei unterschiedlicher Baukörper mit Tiefgarage fernab der Ufergrenze, einen 200 Meter langen Riegel der durch 12 kleine gleiche Bauvolumen gebildet wird, entgegen. Er entwickelte eine Gebäudeabfolge die ihre Kraft durch die Horizontalität erreicht. Gebaut wurde dieser unprätentiöse Vorschlag nicht, findet aber bis heute Platz in zahlreichen Vorträgen Snozzis.

`Baust du einen Weg, ein Haus, ein Quartier, dann denke an die Stadt.`

Dass man Gegebenes nicht akzeptieren muss zeigt auch die Arbeit zur Rettung eines Dorfes namens Rosà in Italien, dessen Problem darin bestand, dass das Auto eine zu große Rolle eingenommen hat, sodass das Zentrum nahezu aufgelöst wurde. Snozzi analysierte den Ort und zog das städtebauliche Raster aus Zeiten der Römer zu Rate um einen klar definierten Platz zu schaffen, der gesellschaftlich relevante Gebäude beinhaltet. Dabei sortierte er -den Denkmalschutz ungeachtet- selektiv aus, welche Gebäude in seinen Plan passten und fügte weitere hinzu. So gab er dem Dorf sein Herzstück zurück.

`Der Bergsteiger ist glücklich inmitten der Berge, weil er hinter dem Horizont die Stadt weiss.`

Bei seiner Utopie für Braunschweig von 1979, die er auch als Aufgabe seinen Studierenden stellte, bewegte ihn die Frage wie man mit zerstörten historischen Städten umgehen soll. Seine Antwort darauf war, die Trümmer der Stadt zu einer Festung entlang des zerstörten Stadtkerns aufzuschichten und somit das Innere der Stadt zu konservieren. Er sprach von der `alten Stadt als die leere Stadt`. Die Einwohner erhalten Platz außerhalb der Mauern in der `neuen Stadt`.

Prof. Andreas Denk

`Weiche deiner Verantwortung nicht aus: setze dich mit der Form auseinander. In ihr wirst du den Menschen wiederfinden.`

Ein weiteres theoretisches Projekt befindet sich in der Nähe von Cabras auf Sardinien. Snozzi wurde damit beauftragt, drei Dörfer für Touristen zu entwerfen um eine weitere wirtschaftliche Belebung zu schaffen. Snozzi analysierte den gegebenen Ort und fand dort vier Elemente die seinen Entwurf bestimmten: streng geometrische Bauten aus Stein die aus der Zeit etwa 2000 v. Chr. stammten, außerdem Bauten für Ferienwohnungen, romanische Kirchen, sowie Wachtürme aus dem 16. Jahrhundert. Snozzi entwickelte ein fünftes Element, dass die Eigenschaften der vorherigen aufnimmt. Präzise geometrische Formen, aus Stein bestehend, und locker verteilt in der Umgebung waren die Ziele. Anstatt die gewünschten drei Dörfer zu entwerfen wurden es fünf. Anstatt einer Kirche plante er ein Hotel als Hauptelement, Geschäfte für die lokalen Bauern, sowie genügend Parkplätze um den Autoverkehr von der Küste fernzuhalten. Er hatte die Idee, dass jeder Ankömmling sich zunächst seiner zivilen Kleidung entledigen soll, sodass nach Überschreitung der Dorfgrenze zum Strand hin jeder gleichgestellt sei. Sein humanistischer Ansatz macht sich in diesem Projekt sehr deutlich.

`Aber über allem das Licht!`

Snozzis wohl kühnsten Projekt dieses Vortrags ist der Masterplan für die Niederlande aus dem Jahr 2002, das einen im Durchmesser 40 km großen Ring als Verbindungstrasse der wichtigsten Städte vorsieht. Inmitten des Ringes ist Platz für Kühe und Tulpen, außerhalb des Ringes findet die Stadt statt. Türme markieren das Eingangstor zur Stadt, sodass eine Orientierung analog der historischen Stadt möglich ist. Den Ring vergleicht er mit einer Uhr und deren 12 Ziffern. Da die wichtigen Städte der Niederlande nur neun an der Zahl ergeben, dichtete Snozzi kurzerhand drei weitere als Siedlungskörper hinzu.

Für seine visionäre Idee bekam Snozzi nicht nur Zuspruch: Die Niederländer diffamierten ihn als Faschisten und Narzisten. Da passt es zu Snozzis revolutionärem Gemüt dass er sich diesen Affront nicht ohne weiteres bieten ließ und hielt mit der europäischen Flagge dagegen, die 12 Sterne zeigt, unser Symbol der Vollkommenheit, Vollständigkeit und Einheit. Diese Anekdote löste Beifall im Saal aus.

Zum Ende hin stellt sich Snozzi noch einmal seine entscheidende Frage: Wie kann die Zersiedlung der Städte und die langanhaltenden Planungen aufgehalten werden? Er plädiert für festgesetzte räumliche Grenzen, maximale Verdichtung der Städte, sowie eine `Lösung der kurzen Fristen`, die eine maximal flexible Planung beinhaltet, die auf die gesellschaftlichen Bedürfnisse zu jedem Stand reagieren kann. Er stellt nochmal sein rhetorisches Talent unter Beweis und trägt sein letztes Aphorismus vor, dass nun noch mehr seine Wirkung entfalten kann: `Architektur ist Leere. Es liegt an dir sie zu definieren.`

Snozzi kommt zu dem Schluss: Es lebe der Widerstand!

Im Anschluss wurde im Foyer diskutiert, alte Bekanntschaften gepflegt und es bestand die Möglichkeit den Ausnahmearchitekten einmal persönlich die Hand zu schütteln.

Am nächsten Tag lud der wohl bekannteste Kölner Architekt Gottfried Böhm Luigi Snozzi zu einem Besuch nach Marienburg in das Böhmsche Domizil. Bei Kaffee entstand eine gesellige Runde mit Prof. Paul Böhm, Prof. Andreas Denk und Sabine Schmidt. Im Anschluss besuchte die Gruppe das Ungers Archiv in Braunsfeld wo sie Sophia Ungers zu einer Führung durch die Räumlichkeiten empfing.

Luigi Snozzi, Gottfried Böhm, Andreas Denk (v. l.) Foto: Schmidt

Am Dienstag, den 5.Mai kommt Prof. Dr. Hajo Neis, ein enger Mitarbeiter von Peter Alexander, an die FH Köln und hält seinen Vortrag `Battle of the Life and Beauty of the Earth`.

Text: Lynn Kunze
Fotos: Heike Fischer