Positionen japanischer Architektur: Hitoshi Abe
„MA“, das japanische Wort für Raum, beschreibt mehr als den messbaren Inhalt eines geometrischen Körpers. Es bezeichnet einen Raum „zwischen“ den Dingen; etwas zwischen Form und Nicht-Form. Der Faktor Zeit kann dabei eine raumprägende Rolle einnehmen. So wird der Rhythmus des Klatschens durch die Pausen zwischen dem Ton bestimmt und nicht etwa durch den Ton an sich.
Am 24. Juni beendete Hitoshi Abe die Reihe „Positionen Japanischer Architektur“ mit einem Vortrag über sein Werk, über Grenzen und das architektonische Fassen des dazwischen liegenden.
Das 1990 realisierte Projekt „Neige Lune Fleur“ in Sendai, Japan ist eine Raum annehmende Grenze. Die von Hitoshi Abe entworfene Innenraumgestaltung des 88 Quadratmeter großen Restaurants setzt das bewusste Betreten des Gastraumes in Szene und schafft eine klare Trennung von Innen und Außen. Ohne Bezug zum Straßenraum liegt das Restaurant im Obergeschoss eines sieben-stöckigen, gastronomisch genutzten Hauses. Die zwei zu einem Flur ausgebildeten, dynamisch gewölbten Wände teilen den schmalen Grundriss des Hauses der Länge nach und führen am Ende des Weges zu einem kleinen Gastraum mit fünf Tischen und einer Bar. Ähnlich dem Zugang eines Tempels ergeben sich hier durch die Krümmung der Wände mehrere nahtlos ineinander übergehende Vorräume, die schließlich im Gastraum des Restaurants münden.
Eine konträre Herangehensweise mit dem Thema der Grenze zeigte Hitoshi Abe in seinem Projekt „Tokyo House Kado 001“ von 2005. Die Hektik der Großstadt Tokio ausblendend, schafft Abe ein sehr kleines, großzügig wirkendes Wohnhaus auf einem innerstädtischen Eckgrundstück. Die Kubatur des Hauses ist geprägt durch das steile Pultdach, dass sich in Richtung Norden abflacht. Auf der Südseite lässt ein großes, über der Nachbarbebauung liegendes Fenster die Grenze zwischen Innen und Außen verschwimmen und nutzt die abgeschrägte Decke als Projektionsfläche der Außenwelt. Das Leben im Inneren des Hauses findet in einem das gesamte Volumen ausnutzenden, offenen Raum statt, das seine Höhe durch zwei weitere, offene Ebenen gliedert ohne den Lichteinfall zu behindern. Einzig der Schlafraum und das Badezimmer befinden sich im Untergeschoss und sind räumlich vom Rest des Hauses abgetrennt.
Ein aktuelles Projekt ist das soeben fertig gestellte Projekt des Hauptquartiers von 3M in St. Paul, Minnesota, USA. Zusammen mit dem österreichischen Architekten Peter Ebner wurde der in die Jahre gekommene Gebäudekomplex einem kompletten „make-over“ unterzogen. Dunkle Flure und Konferenzräume ohne Tageslicht wurden bei laufendem Betrieb in helle Räume und Bereiche verwandelt. Mit der Renovierung wurde nicht nur das Erscheinungsbild grundlegend modernisiert, sondern die Firmenzentrale auch bezüglich neuer Arbeitswelten ins 21. Jahrhundert geholt. Das zuvor unter räumlicher Effizienz und Funktionalität geplante Gebäude ist nun durch wiederkehrende Bereiche der Kommunikation und der Förderung von Gemeinschaft gegliedert. Die nahtlos ineinander übergehenden Räume sind lediglich durch sich abwechselnde Bodenbeläge begrenzt und dennoch klar als für sich stehender Raum erkennbar.
Die bewusste Auseinandersetzung und das Spiel mit dem Ziehen von Grenzen bekommt, wie bei Musikern das Anschlagen von Tönen, eine übergeordnete Rolle in der Arbeit des japanischen Architekten. Die Bedeutung von Räumen wird durch ihre Abgrenzung voneinander definiert. Wie breit das Gestaltungsspektrum dieser Trennung sein kann, verdeutlichte Hitoshi Abe an diesem Abend.
Und so endete die Vortragsreihe „Architectural Tuesday“ in diesem Semester. Gezeigt wurden unterschiedliche Positionen in einer stets eindeutig japanischen Architektur. Voller neuer Eindrücke, interessanter Denkanstöße und Vorfreude auf die für einige Studenten anstehende Exkursion nach Japan bleibt nur noch einmal Danke zu sagen. Dies gilt unseren japanischen Gästen wie auch Daniel Hubert und Prof. i. V. Susanne Kohte, die konzeptionell und organisatorisch die vergangenen Dienstage möglich machten.
Text: Anna-Laura Oldenburg
Bild: Yvonne Klasen