Brüsseler Baukunst | Exkursion denk mal draussen

Ende April besuchte die Mastervertiefung Denkmalpflege und Planen im Bestand die belgische Hauptstadt Brüssel. Zusammen mit dem Kollektiv ‚denk mal draussen‘ organisierte Prof. Dr. Daniel Lohmann ein umfangreiches Programm, das mehrere Denkmal-Baustellen und weitere exklusive Programmpunkte aus dem thematischen Schwerpunkt zu Jugendstil und Art Déco enthielt.

Der Eingang zum ‚Gare Maritime‘. Foto: Olivia Oelsen
Mittagessen im ‚Gare Maritime‘. Foto: Clara Grothkopp
Ein städtebauliches Modell des Areals Thurn & Taxis im ‚Royal Depot‘. Foto: Jonathan Rudat

Freitag,
28. April

Die Anreise legten die Studierenden mit dem Zug über Aachen zurück, bis sie zur Mittagszeit die belgische Hauptstadt erreichten. Passend zur Anreise mit der Bahn führte sie der erste Programmpunkt zum ‚Gare Maritime‘, einem ehemaligen Güterbahnhof, umgebaut von den Architekten Neutelings / Riedijk im Jahr 2018-2020. Neben einem Mittagssnack und dem ersten Zusammenfinden der gesamten Gruppe konnte damit ein Gebäude erlebt werden, das neben der Restaurierung von Industriearchitektur des 20. Jahrhunderts einen zeitgenössischen Trend repräsentiert: Insgesamt zwölf in die äußeren Hallen eingestellte Gebäude erzeugen innerhalb der großen Halle eine eigene kleine Stadt. Der urbane Eindruck wird dadurch verstärkt, dass die Zwischenräume mit Bepflanzungen, einem Boulevard samt Außengastronomie und einem aktuell stattfindenden Sportturnier bespielt werden. Aufgrund der Bauweise aus Brettsperrholz kann das Projekt als innovativ und zukunftsweisend wahrgenommen werden – die Fassaden aus Eichenholz tragen ihren Teil zu einer bewussten Repräsentation bei.

Im Anschluss führte der Weg die Gruppe durch weitere Gebäude des ‚Projet Tour et Taxis‘. Zoll- und Lagerhallen wurden des ehemaligen Verkehrsknotenpunktes im Brüsseler Norden wurden hier zeitgemäß neuinterpretiert und beinhalten nun weitere Event- Gewerbe und Gastronomieflächen.

Hier entsteht zukünftig das Museum für zeitgenössische Kunst. Foto: Mark Duda
Im Inneren des ehemaligen Citroen-Showrooms. Foto: Clara Grothkopp
Die Studierenden im Büro von noA-Architekten. Foto: Daniel Lohmann

Als Großbaustelle erlebte die Gruppe dagegen das Citroën-Autohaus am Brüsseler Kanal. Das in den 1930er Jahren errichtete Gebäude umfasste neben der großflächig überdachten Garage einen 21 Meter hohen Showroom. In den 1950er Jahren mit Zwischendecken geteilt, erlebte die Gruppe bei einer Baustellenführung einen gänzlich entkernten Raum. Die Architektur des Stahlbaus äußerte sich in diesem Zustand als besonders filigran, insbesondere bei den Stützen des Skelettbaus mit abschnittsweisen Ausmauerungen und dem Stahlfachwerk im Dach. Die riesigen Glasfassaden zur Stadt erzeugen eine besondere Atmosphäre zwischen Außen und Innen. Die Vorstellung des Architekten Philippe Viérin von noAarchitecten vermittelte spannende Einblicke in Projekt und Baustelle. Das Brüsseler Büro  entwickelt zusammen mit den Büros EM2N und Sergison Bates architects das über 35.000 m2 umfassende Gebäude derzeit zu einem Museum für moderne und zeitgenössische Kunst sowie einem Architekturmuseum. Die räumliche Zonierung im Gebäude wird ein Haus-im-Haus-System sein, in dessen Einbauten unterschiedliche kulturelle und kommerzielle Angebote zu finden sein werden. Das Gebäude an sich steht allerdings der Öffentlichkeit zur Verfügung und gibt den Raum wie Rampe und Fahrbahnen allen frei, die Lust haben sich dort aufzuhalten. Bei der Analyse des Citroën-Autohauses wurde ein besonderes Augenmerk auf die verschiedenen Farben gelegt, die im Gebäude zu finden waren. Beispielsweise hatten immer wieder Personen, die in dem Gebäude gearbeitet hatten, auf unterschiedlichen Wandbereichen farbliche Änderungen vorgenommen, die deswegen sehr eindrücklich zeigen, wie dort gearbeitet wurde. Die Architekturbüros erstellten so einen großen Farbenkatalog, auf dessen Grundlage die Gestaltung des Entwurfes liegen wird. Im Anschluss an die Besichtigung stellte Viérin im Büro noA weitere Projekte mit historischen Bezügen vor.

Die Vorhang-Fassade des Hotel van Eetvelde, Victor Horta. Foto: Tomas Thornton
Über den Dächern des BOZAR. Foto: Daniel Lohmann
Unterhalb der Dachlandschaft befindet sich die eigentliche Technik hinter dem flächendeckenden Gebäude. Foto: Dominik Baumann.
Barbara van der Wee erläutert die Architektur Victor Hortas im großen Saal des BOZAR. Foto: Clara Grothkopp

Samstag,
29. April

Nach einer erholsamen Nacht traf sich die Gruppe am Samstagmorgen vor dem Jugendstil- Wohnhaus Hôtel van Eetvelde des berühmten Jugendstil-Architekten Victor Horta, durch das die Architektin Barbara van der Wee führte. Sie ist seit der Beschäftigung im Rahmen ihrer Abschlussarbeit des Denkmalpflegestudiums in Leuven mit dem Gebäude außerordentlich vertraut. So konnten die Studierenden vieles über die Restaurierungsarbeiten im Gebäude lernen und sich thematisch auf die nächsten beiden Tage einstimmen, in denen weitere wichtige Brüsseler Objekte des gleichen Architekten besichtigt werden sollten. Die mitreißende Art der Denkmalpflegerin, über das Gebäude zu sprechen, war ansteckend positiv und so freuten sich alle auf ihre Führung am Nachmittag, die durch den Palais des Beaux-Arts gehen sollte. Der heutige Name des Kulturzentrums ‘BOZAR’ bezieht sich auf die Lautschrift des Namens Palais des Beaux-Arts, spielt mit der Ähnlichkeit des Begriffs ‘Bazar’ und dient dem Versuch, sowohl französisch- als auch flämischsprachige Bürger der Stadt anzusprechen. Das BOZAR ist ein Gebäude der Kultur und wurde durch Victor Horta 1920-1928 erbaut. Finanziert wurde es vor allem durch den Bankier Henry Le Boeuf, nach dem ein im Gebäude zu findender Konzertsaal benannt wurde. Die topografische Begebenheit und der Wunsch, die königliche Nachbarschaft nicht durch Gebäudehöhe in den Schatten zu stellen, führten dazu, dass das Bauwerk einen in die Hanglage “eingegrabenen” komplexen Grundriss von 8000 m2 und eine weitläufige Dachlandschaft erhielt. Die Größe des Komplexes wird erst recht spät deutlich, da man die Größe nur von oben durch die Dachlandschaft erahnen kann. Von der unteren Stadtseite wirkt die Fassade wie ein vergleichbar großes Gebäude an der Straße und die immense Komplexität wird erst nach Betreten und Durchqueren des Komplexes erlebbar und nachvollziehbar. Nach einem Brand vor wenigen Jahren hat Barbara van der Wee, die hier als ‘Baumeisterin’ des Bozar  fungiert, bereits zum wiederholten Mal mit der Restaurierung des Gebäudes zu tun. So war es spannend davon zu hören, welche Maßnahmen ein zweites Mal durchgeführt werden mussten und worüber sich mittlerweile die Haltung geändert hatte.

Der Stadt-Spaziergang offenbart eine Vielzahl an Wohngebäuden im Jugendstil. Foto: Clara Grothkopp
Mit einem Reader werden verschiedene Merkmale an den Gebäuden vor Ort gemeinsam entdeckt. Foto: Clara Grothkopp
Das Grundstück der Villa Empain ist verglichen zur pompösen Ausstattung klein. Den größten Teil des hinteren Gartens umfasst ein Pool. Foto: Olivia Oelsen
Zu den Abenstunden erscheinen die Gewächshäuser der Königlichen Gärten in besonderem Licht. Foto: Dominik Baumann
Das Ende eines Tages voller Input reicht die Zeit und Kraft noch für ein spontanes und spätes Abendessen auf einer Verkehrsinsel. Foto: Dominik Baumann

Sonntag,
30. April

Am Sonntagmorgen besuchten die Studierenden das Musée Horta, das ehemalige Wohnhaus und Atelier des Architekten. Die museale Darstellung des Wohngebäudes macht deutlich, wie Victor Horta gelebt und gearbeitet hat, und welche architektonische Haltung Horta hatte.  Begleitet durch Maike Scholz, eine langjährige Mitarbeiterin im Architekturbüro von Barbara van der Wee in der Restaurierung des Musée Horta, konnten die Studierenden spannende Einblicke in das Projekt bekommen. Victor Horta baute das Gebäude in den Jahren 1898 – 1901. Es erstreckt sich über zwei Gebäudeteile, die jeweils eine eigene Hausnummer haben (Rue Americaine 23-25). In einem Teil befindet sich vor allem der private Wohnbereich, in dem Horta mit Frau und Tochter gelebt hatte, im anderen das Atelier und eine im Untergeschoss liegende Werkstatt, in dem entworfen wurde.

Anschließend führte ein Stadtspaziergang, angeleitet durch Prof. Dr. Daniel Lohmann, durch die Stadt entlang weiterer wichtiger Gebäude des Art Nouveau und des Art Deco wie beispielsweise Hortas Hôtel Tassel oder dem Palais de la Folle Chanson.  
Am Nachmittag besichtigte die Gruppe die Villa Empain. Im Stil des Art Déco wurde sie 1930 – 1934 im Auftrag des vermögenden Junggesellen Louis Empain gebaut, dessen Vater durch den Eisenbahnbau zu Reichtum gekommen war. Der Architekt war Michel Polak. Die Villa befindet sich im Botschaftsviertel und besitzt eine Wohnfläche von 2.800 m2. Kühler Marmor ziert beinahe jede Wand und Boden. Die Fassaden bestehen aus poliertem italienischem Baveno-Granit und es gibt mit Blattgold belegte Kantenschutzleisten. Draußen befindet sich in einer Gartenanlage ein großer Pool. Der reine Marmor und die Tropen- und Wurzelhölzer aus Indien und Venezuela machen den Reichtum des Bauherrn deutlich. Die prunkvolle Villa wirkte durch den Marmor im Überfluss beinahe schon anonym. Empain schenkte die Villa bereits 1937 dem belgischen Staat, seit 2006 betreibt eine Stiftung das Gebäude, die ein Kunst- und Kulturzentrum zur Förderung des Ost-West-Dialogs eingerichtet hat.

Die dritte Sonntägliche Besichtigung war ein Rundgang durch die Königlichen Gärten und Gewächshäuser in Laeken . Für die Öffentlichkeit nur wenige Wochen im Jahr geöffnet, bestehen sie aus 15 miteinander verbundenen Hallen aus Stahl und Glas. Geplant wurden sie vom Hofarchitekten der königlichen Familie Alphonse Balat. Auch Victor Horta wirkte bei den Planungen mit. Als Vorbild gilt der Crystal Palace in London von 1851.


Die realen Dimensionen des Atomiums lassen sich vor Ort erfassen. Foto: Olivia Oelsen
Benachbart zum Atomium befinden sich Gebäude weiterer Weltausstellungen in Brüssel. Hier der ‚Palais 5‘ von 1935. Foto: Olivia Oelsen
Betrachtung der Lichtinstallation im Atomium. Foto: Dominik Baumann

Montag,
01. Mai

Am letzten Tag der Exkursion machte sich die Gruppe am Vormittag auf, das Wahrzeichen der Stadt zu besuchen: Das Atomium wurde als belgischer Beitrag zur Weltausstellung 1958 fertiggestellt. Der Entwurf stammte von André Waterkeyn, einem Ingenieur und Direktor des belgischen Stahlproduzenten Fabrimetal. Durch die beiden Architekten André und Jean Polak wurde es ausgeführt. Das 102 Meter hohe Objekt besteht aus neun Kugeln, von denen sechs begehbar und durch 20 Röhren miteinander verbunden sind. Im Inneren befinden sich mehrere Lichtinstallationen und thematisch unterschiedlich gegliederte Bereiche, die beispielsweise den zuerst schwer vorstellbaren Aufbau des Atomiums zeigen. So konnte man erahnen wieviel Waghalsigkeit den Aufbau des Projekts auszeichnet, um dem Image eines solchen Ausstellungsobjekts gerecht zu werden. Trotz aller Skurrilität und dem Andrang der Touristen war der Besuch des Atomiums vor allem wegen der Ingenieurbaukunst sehr beeindruckend.

Die Studierenden konnten also einen Einblick in die vielfältige Architektur Brüssels erfahren, die zeigt, welche Prägungen die Stadt im Laufe der Zeit erhalten hat. Dennoch dient sie als gutes Beispiel für die Architektur des Art Nouveau und Art Déco, über die sich hier ein tiefergehendes Verständnis entwickeln konnte.

Text: Olivia Oelsen und Clara Grothkopp