architectural tuesday | Prof. Dr. Wolfgang Meisenheimer
Am 16. Juni 2015 begrüßte die Architekturfakultät im Rahmen der Vortragsreihe architectural tuesday Prof. Dr. Wolfgang Meisenheimer. Mit seinem Vortrag „Der Leib als kommunikatives Instrument“ beleuchtete er das Thema der Vortragsreihe ‚Die soziale Logik des Raumes’ aus philosophischer Sicht.
Wolfgang Meisenheimer ist Architekt, Architekturtheoretiker, Hochschullehrer, Künstler und von seinem Selbstverständnis her auch Philosoph. Zwanzig Jahre lang war er Professor an der Fachhochschule Düsseldorf für das Lehrgebiet Grundlagen des Entwerfens, darunter neun Jahre Dekan des Fachbereiches Architektur. Zudem leitet er seit Jahren die jährlich stattfindende Werkbund Akademie, die mit immer neuen interessanten Themen interdisziplinäre Felder der Architektur und der Stadtgestaltung eröffnet.
Professor Andreas Denk und Sabine Schmidt, Mitarbeiterin der Öffentlichkeitsarbeit, bedankten sich für das gute Gelingen des architectural tuesday dieses Semesters und fanden einleitende Worte für den folgenden Vortrag.
Meisenheimers Vortrag befasste sich mit den drei Themenkomplexen „Erlebnis und Wahrnehmung“, „Kreativität“ und „Architekturraum“ – immer in Bezug zum „Leib“. Dabei betrifft nach seiner Auffassung der Leib des Menschen nicht das Physische, sondern vielmehr das Sinnliche.
Für Meisenheimer ist die Entwicklung des Homo Erectus – einem Vorläufer des Neandertalers – in die Vertikale von besonderer Bedeutung, denn einhergehend mit der Ausbildung der Fernsinne entstand auch die Sinnlichkeit des Menschen. Sie ermöglicht uns das Erleben der Umwelt mit ihren gesamten Qualitäten. Der einfache physiologische Umstand, dass man die Dinge sehen, riechen, hören und sie nicht berühren müsse, um sie zu erkennen und zu beherrschen, unterscheide uns vom Rest der Tierwelt.
Dann stieg er tiefer in die Philosophie ein: Die von den Menschen erlernte Fähigkeit, zwischen der sogenannten Dingwelt und dem eigenen Selbst zu unterscheiden, prägt uns. Mit der Frage ob diese Dingwelt die Realität ist, beschäftigten sich schon Philosophen wie Parmenides und Platon. Platons Ideenwelt und die Erkenntnistheorie prägten die europäische Philosophie über Jahrhunderte.
Mit dem Beginn der Neuzeit wurde das Ideenhafte, Vorstellungshafte wichtiger als die sinnlichen Ereignisse. Der durchschlagende Erfolg der rationalen Methoden, allen voran der Mathematik und Physik, veränderte das philosophische Denken. Meisenheimer bezeichnet Gefühle, sinnliche Eindrücke und Nichterklärbares als private Seite der Philosophie. Das Chaotische habe einen gewissen Reiz, dass mit der neuaufkommenden Rationalität verlorengegangen sei. Die neuere Philosophie widme sich wieder dem Thema des leiblichen Selbst.
Bei dem Thema „Architekturraum“ unterscheidet Meisenheimer zwischen Erlebnisräumen, jenen Raumstrukturen die gesellschaftlich vorgegeben sind, und Darstellungsräumen, die von Menschen (Künstler, Architekten etc.) erzeugt werden. Architekturräume haben einen bildhaften Charakter, die sich entweder in den Erlebnisraum einfügen oder aber diagonal dazu arbeiten. Wir als Architekten, als Künstler sollten uns vorbehalten, in diesen Ordnungen eigene Räume zu gestalten.
Architektur sei keine bloße Zusammenstellung von Objekten, sondern das Erleben des Leibes spiele in der Architekturtheorie und auch in der Dingwelt eine Rolle. Die gestischen Verhältnisse lägen in beiden Welten als Gestik des Seins und Gestik der Dinge und bedingen einander.
Daniel Hubert, Andreas Denk, Susanne Kohte und Wolfgang Meisenheimer
Im Anschluss folgte eine ausführliche Diskussionsrunde, wobei die Frage aufkam, ob Sinnlichkeit auch räumlich dargestellt werden könne. Meisenheimer verwies auf den von Pythagoras erfundenen Monochord, einer Art einseitigem, einem Musikinstrument ähnlichem Werkzeug, dessen einzige Saite von einem darunterliegenden Steg getrennt werden kann und die entsprechende Teilung auf einer Skala abzulesen ist. Dies bedeutete, dass eine Qualität, eine körperliche Wahrnehmbarkeit, mit Zahlen beschreibbar war. In diesem Zuge kam der frühe Diskurs über Proportionalität zu Stande, der heute in der Architektur, nicht nur bei Le Corbusier eine große Rolle spielt.
Im weiterem Diskurs kam die Frage, auf wie sich der Leib äußert. Gibt es einen Leib oder mehrere?
Meisenheimer erklärte, dass es Strukturen im Leib gäbe, die in uns liegen, und welche, die anerzogen wären. So kommt es zu Stande dass die Erfahrung von Weite und Enge bei jedem anders erfahrbar sei. Auch die Kategorie Gemütlichkeit ist eine individuell erfahrbare, die in der praktischen Architektur Bedeutung hat: Baut man für den einen gemütlich, ist es für den nächsten vielleicht ungemütlich.
Gibt es Kriterien für eine Architekturkritik?
Meisenheimer meint, die Kritik müsse mehr Bezug nehmen auf die zwei Welten: Die Dingwelt und die Welt des Leibes. Das Werk müsse daraufhin überprüft werden, ob auf die zauberhafte Einmaligkeit des Ortes eingegangen wurde, ob es gestische Qualitäten hat und eine eigene Sprache entwickelt, aber auch ob die Benutzer durch diese Architektur beeinflusst werden.
Kurzum: Schafft es das Gebäude, Leibgefühle zu inszenieren und somit gestisch zu werden?
Eine spannende, interdisziplinäre Reihe ist zu Ende gegangen. Wir bekamen tiefe Einblicke in die Sichtweisen verschiedener Architekten: Luigi Snozzi und Mark Lemanski von muf architecture/art, die, jeder auf ihre Weise, die Architekturszene mit revolutionären Ansätzen veränderten. Bill Hillier und Hajo Neis, die ihrerzeit Methoden erfanden, um Architektur zu systematisieren und an noch bis heute wichtigen Werken der Architekturtheorie mitwirkten. Der Blick der Soziologin Martina Löw, die Raum als relational erklärte, ermöglichte eine weitere Betrachtung des Raumes, die teilweise in Gegensätzen zur sinnlichen Auffassung Wolfgang Meisenheimers stand.
Wir bedanken uns bei allen Mitwirkenden und freuen uns auf den nächsten architectural tuesday!
Text: Lynn Kunze
Fotos: Heike Fischer