architectural tuesday | Prof. Gernot Böhme | Nachbericht
Als ersten Vortragenden im Rahmen der Reihe „Atmosphären des Raumes“ durften wir Gernot Böhme, einem ehemaligen Professor für Philosophie an der Technischen Universität Darmstadt (virtuell) begrüßen.
Vortrag ‚Architektur –eine visuelle Kunst? Die Bedeutung
von Foto und Atmosphäre in der Architektur‘
(ehem.) Prof. Gernot Böhme, Technischen Universität Darmstadt
10. November 2020 im Rahmen des architectural tuesday
In der kurzen Einführung befasste sich Prof. Andreas Denk mit der Thematik der Vortragsreihe „Atmosphären des Raumes“ – handelt es sich bei „Atmosphären“ um eine besondere Anregung der fünf Sinne, der Erinnerungen, des Sentiments oder der Gefühle – oder wie sind sonst die architektonischen Atmosphären zu beschreiben? Dieser Frage sollte im Laufe des Vortrags nachgegangen werden.
Zu Beginn stellt Prof. Gernot Böhme die Frage, ob Architektur wirklich eine visuelle Kunst sei. Seiner Einschätzung nach, sehen die meisten Menschen es für selbstverständlich an, dass die moderne Architektur ganz eng mit Fotografie zusammenhängt. In seinem Vortrag geht er dem kritisch nach.
Nach Böhme bietet sich die Architektur als erstes und bestes Objekt für die Fotografie an, da das Foto, was immer es auch abbildet, einen Gegenstand „still“ darstellen lässt. Das erste Beispiel dazu ist ein Foto (Abbildung 1) einer Industrieanlage. Fotos sind laut Böhme das Gewesene der Architekturarchäologie, denn im Grunde genommen wollen die Fotografie und die Architektur dasselbe: Die Darstellung von einfachen Formen, klaren Anblicken, Rationalität und Funktionalität.
Als nächstes Beispiel (Abbildung 3) zeigt Gernot Böhme ein Foto von einem Stahl Hause, um näher auf die Veranschaulichung des Fotos einzugehen. Er erwähnt, dass es eine professionelle Notwendigkeit des Architekten ist, sich durch Fotos zu präsentieren.
Neben Zeichnungen und heutigen Computersimulationen spielt laut Böhme auch das Architekturmodell eine wichtige Rolle, da es das fertige Gebäude visuell präsentiert. Somit hat sich der Kern der zu Beginn gestellten Frage beantwortet, und zwar dass die Architektur als visuelle Kunst betrachtet wird und diese Darstellung in visuellen Medien die angemessene Form ist. Es geht nämlich auch bei diesen Mitteln darum, dass geplante und später das fertige Gebäude visuell zu präsentieren. Wichtig ist, dass man sich die Frage stellt, ob es die zentrale Aufgabe der Architektur ist Anblicke zu produzieren. Wenn das in Frage gestellt wird, wird die Architekturfotografie eigentlich interessant, nämlich wenn sie an Architektur etwas darstellen muss, was man eigentlich nicht sieht, fügt Böhme hinzu.
Das nächste Bild (Abbildung 4) zeigt eines der bedeutendsten Bauten moderner Architektur in Finnland: das Wohnhaus Villa Mairea von Alvar Aalto aus dem Jahre 1938-39. Böhme verweist darauf, wieviel Wert auf die Materialität und Details im Zusammenspiel von künstlichem und natürlichem Licht gelegt wurde.
Im Verlauf des Vortrags geht er auf den finnischen Architekten Juhani Pallasmaa ein und sagt, dass sich nach Pallasmaa die Architekturtheorie und Kritik beinahe ausschließlich mit dem Mechanismus des Sehens und mit visuellem Ausdruck beschäftigt. Er zitiert, dass „Kunst und Architektur die psychologische Strategie einer sofortigen Überzeugungskraft aus der Werbung übernommen haben und dass die Gebäude zu Imageprodukten ohne existenzielle Aufrichtigkeit geworden sind. Als eine Konsequenz daraus wird die Architektur zu einer Kunst des Auges. Doch dieser Wandel geht über eine bloße Dominanz des visuellen hinaus. Anstatt eine situative körperliche Begegnung zu sein, ist die Architektur zu einer Kunst des gedruckten Bildes geworden, die durch einen Blick oder die Kamera fixiert soll“. (Zitat: Juhani Pallasmaa)
Als nächstes werden Personen gezeigt, welche in verschiedenen Perspektiven zu sehen sind. Das Foto nimmt den Betrachter mit in die Aussicht hinein und lässt ihn auf diese Weise an der Erfahrung der anwesenden Personen teilnehmen.
Böhme bezieht sich auch auf Großfotos, welche sich einerseits durch ihre atmosphärische Wahrnehmung einladende Unschärfe auszeichnen, andererseits dadurch das sie am Computer bearbeitet sind. Aus diesem Grund haben Klassische Architekturfotos der heutigen Zeit dabei etwas Surrealistisches und es ist laut Böhme ganz konsequent, wenn der Fotograf seine Fotografie direkt an Modellen der Architekten macht.
Das nächste Bild wird ein Architekturfoto der „World Trade Center“ gezeigt. Durch die Technik des „blurring“ soll die Rückkehr der Aura der Unbestimmtheit erreicht werden.
Böhme geht im Laufe seines Vortrags näher auf die Aufgabe der Architektur ein, welche es ist, Räume zu gestalten oder zu schaffen, welche für Menschen vorgesehen sind. Denn so verschwindet die Selbstverständlichkeit, mit der angenommen wird, dass Fotografie das ideale Medium wäre, mit der man vermitteln kann. Den Raum als solchen kann man nicht fotografieren, so Böhme. Dies würde nicht nur daran liegen, dass die Fotografie zweidimensional ist, sondern die abgelichteten Dinge und Gebäude nur Begrenzungen des Raumes sind und nicht der Raum selbst. Der bestimmte Raum, also das atmosphärische eines Gebäudes, kann im Bild immer nur indirekt mitgeteilt werden, nämlich durch die Elemente, die für die Erzeugung seiner Atmosphäre relevant sind. Das Foto soll nicht Abbild einer Realität sein, sondern Vermittlung von Realitätserfahrung anhand von Signaturen. Als Signaturen sind dabei jene Elemente zu bezeichnen, sei es in der Realität oder sei es im Bild, die als erzeugende charakteristische Atmosphäre eines Gebäudes verantwortlich sind.
Die Architekturfotografie wird gerade dadurch zur Kunst, da sie etwas schwer Darstellbares zur Darstellung bringt, wie den Raum. Dieses nicht Darstellbare, aber gerade Entscheidende ist für die Architekten der Raum, also der Raum leiblicher Anwesenheit. Im Raum sein heißt, rundherum vom Raum umgeben zu sein. Gerade diese Erfahrung ist im Foto nicht wiederzugeben, es sei denn der Betrachter wird in den Raum der Darstellung hineingenommen.
Es gibt Fotos, welche durch Fotomontage die Bewegungssuggestion von architektonischen Linien verdeutlichen. Als gutes Beispiel (Abbildung 7) hierfür das Scherings Apothekenhaus und das alte BMAG Verwaltungsgebäude. Hier werden die Fassaden der beiden Gebäude mithilfe einer Bildbearbeitung verändert. Oder auch Fotos (Abbildung 8), welche mit dem Ausblick nach draußen fotografiert sind, um dieses raumschaffende der Architektur ins Bild zu bringen. Die Ein- und Ausgänge eines Gebäudes – allgemeiner die Öffnungen – sind für Raumerfahrung entscheidend, weil sie die Anwesenheit am Ort gewollt in Beziehung zu dem umgebenen Raum setzen. Für die Erfahrung des Gebäudes ist nicht der Anblick eines Gebäudes selbst entscheidend, sondern seine Eindeckung in die Umgebung.
Man könnte das bisherige hier durch die Forderung zusammenfassen, dass die Architekturfotografie zu zeigen habe, in welcher Weise ein Gebäude einen Ort im Raum schafft bzw. aus einem Ort heraus den Raum aufspannt. In Architekturfotos werden beispielsweise szenische Erfahrungen, die ein Besucher eines Gebäudes macht, am besten vermitteln, wenn sie das Gebäude selbst als eine Szene zeigen, in dem Leben geschieht. Man könnte sagen, dass der Fotograf ein Gebäude oder ein Ensemble von Gebäuden mit den Augen eines Bühnenbildners sehen sollte, denn dann spielen Lichteinfall, die Farbe des Lichtes, die Tages- und Jahreszeiten, aber auch die Materialien in ihrer ästhetischen Qualität eine Rolle.
Und dann wird die Frage gestellt, welche charakteristischen Szenen von Leben ein Gebäude ermöglicht. Es wird nicht mehr darauf ankommen, ein Gebäude in seine genauen Konturen darzustellen, sondern viel mehr ein Eindruck zu vermitteln. Es wird nicht darauf ankommen auf einen optimalen Lichteinfall abzuwarten oder dies künstlich zu erzeugen, sondern viel mehr darzustellen, dass das Gebäude im Spiel des zufälligen Lichtes erscheint. Auch wird es nicht darauf ankommen das Gebäude möglichst präzise und vollständig zu sehen, sondern es vielmehr als Bedingungen der Raumerfahrung spüren zu lassen. Ein Gebäude wird schließlich nicht von Architekten am Ende ins Foto entlassen, sondern vielmehr als Element in einer Umgebung, in der es einen Aufenthalt bewehrt. Diese Stimmung im Foto einzufangen lässt sich durch die Atmosphäre vermitteln, die ein Architekt durch sein Gebäude erzeugt.
Text: Mehtap Ata
Quellen: siehe Bildbeschreibung + Beitragsbild: https://web.archive.org/web/20161021193714/http://www.panoramio.com/photo/55754907