architectural tuesday | Prof. Dr. Jörg Gleiter | Nachbericht
Am 19. Juli 2018 durften wir den Architekten Prof. Dr. Jörg Gleiter an unserer Fakultät begrüßen. Er ist Leiter des Fachgebiets Architekturtheorie und geschäftsführender Direktor des Instituts für Architektur der TU Berlin. Unter dem Titel „Die Souveranität des Architekten: Anmerkungen zur kritischen Erkenntnistheorie der Architektur“ hielt Jörg Gleiter einen spannenden Vortrag und gab einen Einblick in seine Arbeitsschwerpunkte in Bezug auf das Thema „Philosophie der Architektur“.
Die erste These besagt, dass Philosophie und Theorie der Architektur in einem Spannungsverhältnis stehen. Beide sind ineinander, man kann sie nicht trennen. Je nach der Art, wie wir fragen, fragen wir eher nach der mehr philosophischen oder mehr theoretischen Bestimmung der Architektur. Die zweite These geht davon aus, dass Theorie und Philosophie die Funktion der Aufklärung der Architektur über sich selbst hat. Die dritte These besagt, dass mittels Theorie und Philosophie der Architekt die Souveränität über das Material der Architektur erhält.
Seinen weiteren Vortrag gliederte Prof. Dr. Jörg Gleiter in sechs für ihn relevanten Punkte, um seine Definition von Architekturtheorie verständlich und nachvollziehbar zu machen.
1 Kritische Theorie
Die kritische Theorie ist Grundvoraussetzung, denn Architektur sei theoretisch begründet. Es gibt keine vortheoretische Architektur.Theorie stellt immer andere Theorien infrage, oder anders gesagt, indem wir die unbewussten theoretischen Modelle sichtbar machen und kritisch bewerten, stellt jede Theorie immer andere Theorie in Frage.
2 Architektur als Erfindung
Die Architektur ist eine genuine Erfindung des Menschen, so Gleiter. Sie ist eine Kulturtechnik,die ihre Prinzipien nicht mimetisch nachahmend der Natur entlehnt. Sie ist das Resultat eines logisch-systematischen Denkens von Material und Konstruktion.
3 Architektonik | Stichwort Fügung
„Architektonik ist die Kunst der Systeme.“ Immanuel Kant führte den Begriff der Architektonik ein. Architektonik bezeichnet die Möglichkeit der systematischen, einer Idee folgenden Kombination und Rekombination einzelner Elemente zu einem Ganzen. Architektonik ist demnach die Kunst, einer Idee folgend Dinge zusammenzufügen. Daraus geht hervor, dass die „Fügung“ ein Grundbegriff der Architektur und die erkenntnistheoretische Grundlage der Architektur ist.
4 Anthropologie | Angemessenheit
Der Mensch braucht die Architektur, er kann nicht ohne sie. Architektur entsteht aus der Fügung der Materialien, die zu Bauteilen zusammengeführt werden. Architektur ist also die Kulturtechnik, die mit dem Ziel der angemessenen Befriedigung der menschlichen Bedürfnisse aus den unterschiedlichen Materialien und Formen, einer Idee folgend, ein System macht.
5 Soziologie | Ambivalenten
Unter diesem Punkt spielt Leon Battista Alberti eine große Rolle, denn er relativierte die Bedeutung der Schutzfunktion der Architektur. Architektur ist demnach nicht nur eine Reaktion auf Umweltverhältnisse, er zeigte, dass es überhaupt erst die Architektur ist, die die Orte schafft, an denen soziale Begegnungen möglich sind. Architektur ist Voraussetzung für die Sozialisierung der Menschen. Alberti stellte damit die soziale Funktion der Architektur über die Schutzfunktion.
6 Ästhetik | Wahrnehmung
Architektur, so Gleiter, kann nicht ohne die sinnliche Wahrnehmung entstehen. Da Wahrnehmung immer sinnenvermittelt ist, ist die Wirklichkeit immer eine „Wirklichkeit in Zeichen und Interpretationen“. Der Mensch nimmt immer interpretierend wahr.Der Akt der Wahrnehmung ist immer ein Akt der Erkenntnis durch Interpretation. Erkenntnis in diesem Sinne heißt, dass die sinnlich vermittelten Daten durch die Modelle des Denkens strukturiert werden.
Sein Fazit:
„Architekturtheorie ist die kritische Reflexion über das Konzipiert-, Gemacht- und Erfahrenwerden oder -sein der Architektur im größeren, sich dynamisch ändernden, kulturellen Kräftefeld. Ziel der kritischen Reflexion ist es, die Vorstellungen und Modelle sichtbar zu machen, zu hinterfragen, zu bestätigen oder neu zu formulieren, auf deren Grundlage der Mensch sich mittels Architektur eine ihm angemessene, vom Zustand der reinen Naturhaftigkeit sich unterscheidende Umwelt schafft.“
„Architektur ist dagegen jene kulturelle Praxis, mit der sich der Mensch – der Mensch als Mängelwesen (Gehlen) – eine ihm einzig zuträgliche, seinen sich ändernden wie auch gleichbleibenden Bedürfnissen und Wünschen angemessene, bedeutungsvolle, vom Zustand reiner Naturhaftigkeit sich unterscheidende Umwelt schafft.Wo die Bedürfnisse sich ändern, zeigt sich auch die Architektur als eine sich ändernde, kulturelle Praxis.“ (Prof. Dr. Jörg Gleiter)
Anschließend gab es mehrere interessante Fragen und Rückmeldungen des Publikums und somit endete auch dieser Dienstagabend im Karl-Schüssler Saal in einer spannenden Diskussionrunde. Auch Prof. Andreas Denk machte Anmerkungen zum Vortrag.
Prof. Dr. Jörg Gleiter hat mit seinem gelungenen Vortrag einen weiteren Teil zur Einführung in die Thematik „Philosophie der Architektur“ im Rahmen des architectural tuesdays unserer Fakultät beigetragen.
Fotos: Lucas Wölfl
Folien: Prof. Dr. Jörg Gleiter
Text: Janina Hofius, Sabine Schmidt