architectural tuesday | Prof. Dr. Agnes Förster & Prof. Andreas Denk | Nachbericht

Wohnen jenseits des Standards

Im Rahmen der architectural tuesday Reihe „Wohnen wollen alle – Partizipative Stadt- und Architekurkonzepte“ begrüßten wir als erste Vortragende Prof. Dr. Agnes Förster, Professorin und Inhaberin des Lehrstuhls Planungstheorie und Stadtentwicklung an der RWTH Aachen, Mitbegründerin des Forschungsnetzwerk Making of Housing der RWTH und Sprecherin des Graduiertenkolleg Mittelstadt als Mitmachstadt.

In ihrem Einführungsvortrag „Wohnen jenseits des Standards: Perspektiven des Mitmachen in der Stadtentwicklung“ spricht sie über die Untersuchung von Arbeitsweisen und Ergebnissen innovativer Projekte „anderer Akteure“, und wie diese Lösungen auf dem Wohnungsmarkt übertragen werden können. Hierbei bezieht sie sich auf ein abgeschlossenes Forschungsprojekt „Wohnen jenseits des Standards“, im Auftrag der Wüstenrotstiftung, an dem sie mitgewirkt hat. 

Vortrag ‚Wohnen jenseits des Standards:
Perspektiven des Mitmachen in der Stadtentwicklung‘
Prof. Dr. Agnes Förster, RWTH Aachen

01. Juni 2021 im Rahmen des architectural tuesday

nochmal anschauen: www.youtube.com

architectural tuesday Förster Denk

Zu Beginn gab Prof. Andreas Denk eine Einführung in die Thematik des architectural tuesday dieses Semester. Er stellte kurz das Projekt „Wohnregal“ in der Admiralstraße 16 in Berlin- Kreuzberg vor. Dort wohnen, planen und bauen die Bewohner partizipativ selbst. 

Im Anschluss begann Prof. Dr. Agnes Förster mit einen Überblick über die Entstehung innovativer Wohnprojekte. Dabei zeigte sie auf, wie Lösungen im Prozess entwickelt werden können und wie diese entstehen. Experimentelle Akteure, wie z.B. Genossenschaften, Baugemeinschaften oder Unternehmen, die zu langfristige Bestandshalter werden, schaffen innovative Projekte, die das Stadtbild verändern und der Stadtentwicklung einen Anstoß geben. Für sie stehen der individuelle Wohnwert und die gemeinsamen Werte über einer maximalen Rendite. Diese sammeln mit den innovativen Projekten ihre Erfahrungen und unterliegen ihren eigenen Lernprozessen. Kommunikation ist ein wichtiger Bestandteil im Planungsprozess, da meistens viele Akteure involviert sind.

Beim Forschungsprojekt „ Wohnen jenseits des Standards“ wurden drei Fragen untersucht:

  • Welche neuen Lösungen werden realisiert?
  • Unter welchen Umständen entstehen diese Lösungen?
  • Wie kann man diese Lösungen auf etablierte Akteure am Wohnungsmarkt übertragen? 
architectural tuesday Förster Denk

Insgesamt wurden 15 realisierte Projekte unter bestimmten Kriterien in Deutschland und der Schweiz ausgewählt und untersucht. Diese sind nicht gleichmäßig auf der Karte verteilt, wofür es keinen spezifischen Grund gibt. Im nächsten Schritt wurden diese Fallbeispiele verglichen und Thesen einer Übertragbarkeit aufgestellt.

Als Fallbeispiele galten auch Projekte, die im Abstand einiger Jahre von den gleichen Akteuren geplant wurden. Man erkannte hier  eine zunehmende Professionalität und Organisation der Entwicklungsprozesse.

In den 15 Fallstudien haben sich bestimmte Muster und Verhaltensweisen herauskristallisiert, die in fünf Handlungslogiken unterteilt wurden und die Grundmotivation der Akteure aufzeigten: Gemeinschafts- Bauer, Optionen- Schaffer, Standort- Wandler, Stadt- Macher und Wert- Schätzer.

Sie sind bei jedem Objekt vorhanden, aber unterschiedlich ausgeprägt und entwickeln sich im Laufe der Prozessentwicklungen.

Im Anschluss zeigte Agnes Förster den Entstehungsprozess eines solchen innovativen Projektes auf. Zu Anfang gibt es eine lange Vorphase, in der Ideen und Konzepte entwickelt werden. Sobald dann passende Flächen für das Vorhaben gefunden oder zur Verfügung stehen kann das Projekt zeitnah in Angriff genommen werden. In der sogenannten Planungsphase 0 wird das Bauvorhaben genauer definiert und im Prozessverlauf angepasst. Neben dem baulichen Aspekt spielt auch der soziale Aspekt eine wichtige Rolle. Der Fokus liegt auf der Partizipation der Nutzer, so dass ihre Bedürfnisse schon im Vorfeld zusammen erarbeitet werden können. In der Leistungsphase 10 ist das Objekt noch nicht vollständig fertiggestellt. Der Nutzer bekommt die Möglichkeit sich bei der Nachjustierung aktiv zu engagieren und an neuen Bedürfnissen anzupassen.

Fallbeispiele

Im Folgenden wurde auf  drei untersuchte Fallbeispiele der oben genannten Handlungslogiken eingegangen.

Beispiel Wert- Schätzer „Alte Weberei Carré“ in Tübingen
Dieses Gebäude befindet sich an einer Schlüsselstelle innerhalb der Stadt und zeichnet sich durch eine breit gefächerte Nutzungsmischung und einem integrativen Wohnkonzept aus. Das Stadtbild wird qualitativ aufgewertet und erfreut sich einer gestiegenen Wertschätzung.

Beispiel Options Schaffer „Falkenried- Terrassen“ in Hamburg  
Hier war das Ziel mit Kompromissen bezahlbaren Wohnraum zu schaffen. Bauliche Defizite wurden über soziale Aspekte kompensiert. 

Beispiel Stadt- Macher Projekt „Zwicky Süd“ in Dübendorf. 
Das Projekt befindet sich außerhalb von Zürich und hat auf einem eher unlukrativem Standort eine attraktive Neunutzung mit Magnetwirkung geschaffen.

Diese Beispiele zeigen, dass nicht nur das Gebäude selbst eine Rolle spielt, sondern auch die Schnittstelle zur Umgebung.

Die 24 definierten Lösungsfelder sind verschiedene Kategorien der Weiterentwicklung und Aushandlung von „Wohnen jenseits des Standards“. Diese haben in ihrem Zusammenspiel unterschiedlichste Gewichtungen, müssen aber in der Bearbeitung alle berücksichtigt werden, da sie aufeinander aufbauen und in Abhängigkeit zueinanderstehen. Sie sind in vier Kategorien unterteilt: Programm und Funktionen, Kenngrößen, Räumliche Struktur und Gestaltung sowie Organisation. 

Zum Schluss geht Agnes Förster auf die Frage ein, wie sich die untersuchten Lösungen auf den Wohnungsmarkt übertragen und auswirken.

Die festgestellten Übertragbarkeiten können in drei Ebenen unterteilt werden. Einmal die Skalierung und Funktionalität, im Vordergrund steht hier die Schaffungen von neuem Wohnraum, obwohl es immer weniger Flächen gibt. Die Ebene Individuum und Nachbarschaft, sie bezieht sich auf den sozialen Aspekt des Wohnens und die Ebene der Stadtentwicklung und der Baukultur, die sich mit den Veränderungen und Entwicklungen eines Umfelds beschäftigen.

Im zweiten Teil des Vortrages spricht Agnes Förster über die Annäherung des Mitmachens und stellt das Handlungsmodell „ Baukultur Instant“ vor. Der entwickelte Planungs- Gestaltungsansatz bietet Kommunen ein Modell, zivilgesellschaftliches Engagement und baukulturelles Wissen vor Ort nicht nur je nach Verfügbarkeit und Angebot zufällig einzubinden, sondern für vorhandene räumliche Problemlagen gezielt zu gewinnen.

Grundsätzlich gibt es verschiedene Perspektiven des Mitmachens und deren Wechselwirkungen, auf ein Projekt. Bei dem Forschungsprojekt handelt es sich um einen sogenannten Impulsgeber zur mittel- bis langfristigen Entwicklung von Quartieren oder Städten. Hierbei werden mit Sofortmaßnahmen der räumlichen Gestaltung, längerfristige Aufwertungen von z. B Orten, Freiräumen und Gebäuden geschaffen. Der Raum  wird vielschichtig entwickelt und Prozesse werden geöffnet. Dies basiert auf den vier miteinander verknüpften Gestaltungsdimensionen physisch, performativ, kommunikativ und nutzungsorientiert.

Abschließend stellt sich Agnes Förster den Fragen aus dem Publikum und es entsteht eine rege Diskussion zum Thema Partizipation bei Wohnmodellen. 

Beitragsbild: Wolfgang Meinhart, Hamburg
Abbildungen: Vortrag architectural tuesday 
Text: Pauline Schäfer