Architectural tuesday | Neil Michels
An der vierten Veranstaltung ist Neil Michels aus dem Londoner Architekturbüro Carmody Groarke zu Gast. In seinem Vortrag widmet er sich dem nominierten Projekt ‚The Hill House Box‘ und präsentiert noch drei weitere spannende Projekte.
1. Hill House Box
Die Hill House ist eines der bedeutendsten Werke von Charles Rennie Mackintosh, eines der berühmtesten Gebäude Schottlands und ein wegweisender Bestandteil der europäischen Architektur des frühen 20. Jahrhunderts. Es liegt in Helensburgh, 30 Kilometer westlich von Glasgow entfernt. Mackintoshs häusliches Meisterwerk sieht aus wie ein schottisches Turmhaus aus dem 20. Jahrhundert, mit seinen grob verputzten Wänden, der asymmetrischen Anordnung der Fenster und dem Fehlen historischer Ornamente. Das Gebäude hatte jedoch anhaltende Wasserschäden. Um dem entgegenzuwirken und die Aufrechterhaltung des Zugangs zum Haus für Besucher zu schützen, wurde das Gebäude mit einer Außenhülle aus Stahlgeflecht versehen. Somit wurden auch die Regentropfen ferngehalten.
Die architektonische Identität des neuen Museums ist ein abstrahierter Gartenpavillon, dessen Wände vollständig mit einem Kettengeflecht aus Edelstahl verkleidet sind. Diese semi-permanente Einhausung bietet dem ursprünglichen Haus einen einfachen „Trockenraum“, während seine regendurchnässte bestehende Konstruktion langsam repariert wird. Trotz dessen wird die Sicht weder von außen, noch von innen beeinträchtigt. Ein weiterer Aspekt ist die äußere Begehung des Gebäudes durch erhöhte Treppenplattformen.
Innerhalb dieses sicheren, geschützten Baugebiets wird dadurch ein bemerkenswertes Besuchererlebnis des „Museums“ angeboten, das durch einen erhöhten Gehweg erreicht wird, der sich auf hoher Ebene um und über das Hill House schlängelt.
2. design museum gent
Das Design Museum Gent, das der belgischen Nationalsammlung für Designkultur gewidmet ist, ist in mehreren historischen, denkmalgeschützten Gebäuden aus dem Jahr 1755 untergebracht. Diese Gebäude bilden drei Ränder eines Innenhofs. Städtebaulich fehlt jedoch der vierte Rand dieses Innenhofs und somit bildet es eine Lücke des historischen Straßenbildes.
Ein neues CO2-freies Ausstellungs- und Veranstaltungsgebäude wird das leerstehende Grundstück ersetzen und eine neue Eingangs- und Verkehrsstrategie für das gesamte Museum schaffen.
Das fünfstöckige Gebäude wird eine Reihe von Galerien und Aktivitätsräumen sowie ein riesiges Kellerarchiv enthalten, das den Besuchern Zugang zu Prozessen hinter den Kulissen bietet. Bestehende Galerieräume werden umfunktioniert und erweitert, um international bedeutende Sammlungen auf neue und verbesserte Weise zu zeigen. Ein interessanter Aspekt ist dabei, dass die komprimierte Kreideziegel ein Upcycling verwendeter Materialien ist. Somit verleihen die Fassade eine starke skulpturale Präsenz.
3. Windermere Jetty Museum
Das neue Museum beherbergt eine international bedeutende Bootssammlung an den Ufern von Windermere im Lake District National Park in England, welches 2019 fertiggestellt wurde. Das Gebäude umfasst Ausstellungsräume für die Ausstellung von Dampfbooten, Motorbooten, Yachten und anderen Schiffen, die die Geschichten ihres Baus und ihrer Verwendung auf dem See erzählen. Der Schwerpunkt liegt auf einem Besuchererlebnis inmitten von einer Landschaft, die eine starke Verbindung zwischen Menschen, Booten und Wasser schafft.
Die Satteldächer mit angrenzenden Vordächern zeigen eine besondere Gestik in dieser Architektur. Sieerweitern die Innenräume des Gebäudes mit Allwetterschutz in die Landschaft. Die oxidierte Kupferverkleidung bedeckt alle Außenflächen und festigt das Erscheinungsbild einer Ansammlung von Gebäuden, die als ein einziges Museum fungieren. Die Verkleidung wird im Laufe der Zeit allmählich verwittern und das Erscheinungsbild der Strukturen in die natürliche Umgebung einfügen.
4. British Library
Der Masterplan für das nationale Archiv der British Library im Boston Spa in West Yorkshire basiert auf dem dringenden Bedarf an mehr Platz für die wachsende Drucksammlung der British Library. Der 44 Hektar große Campus, ehemals eine Munitionsfabrik aus dem Zweiten Weltkrieg, beherbergt mehr als drei Viertel der Bibliothekssammlung von über 170 Millionen Objekten. In den letzten zehn Jahren kamen rund 7 Millionen physische Medien in das Archiv der Bibliothek. Dies erfordert jährlich etwa 8 km neue Regale.
Der Masterplan soll einen nach außen gerichteten Campus schaffen, die Kapazität und Qualität der Lagerung für die nationale Sammlung erhöhen, einen besseren Arbeitsplatz für die Menschen schaffen und die langfristige ökologische Nachhaltigkeit des Standorts erheblich verbessern.
Das Projekt umfasst zwei Gebäude; eine umfassende Renovierung und Anpassung des brutalistischen Urquhart-Gebäudes, des ersten eigens errichteten Gebäudes für die British Library, das in den 1970er Jahren errichtet wurde, und ein neues vollautomatisches Archivgebäude mit niedrigem Energieverbrauch, das die Erweiterung der Sammlung über Jahrzehnte ermöglichen wird. Die Fassade wird in beschichtetem Stahl ausgeführt, der mit dem Farbton der bestehenden Betonfassaden harmoniert.
Die horizontalen Unterteilungen aus hochglanzpoliertem Metall sollen auf das ursprüngliche Urquhart-Gebäude verweisen und die Bilder der umgebenden Landschaft widerspiegeln.
Im Anschluss beantwortet Neil Michels aus dem Publikum einige Fragen zum Thema Materialität der Fassaden, da sie nachhaltig und besonders außergewöhnlich sind.
Text: Meryem Kilic
Fotografien/Visualisierungen: Carmody Groarke
Beitragsbild: Felix Beuter