architectural tuesday | Gion A. Caminada

Am 19. Januar 2016 begrüßten wir im Rahmen der Vortragsreihe „Positionen Schweizer Architekten“ Gion A. Caminada aus Vrin.

Der Graubündner Architekt ist bekannt geworden durch die behutsame Orts- und Gestaltungsplanung seines Heimatdorfs Vrin, ein kleines Dorf mit 250 Einwohnern.
Caminada entwarf und baute dort eine Reihe von Gebäuden, die die Tradition des Holzbaus weiterentwickeln wie ein neues Gemeindehaus und -halle, eine Telefonkabine, eine Metzgerei eine Totenstube und Wohnhäuser. Er plädiert für eine Einhaltung der Hierarchie des Dorfes, indem jedes Gebäude seinen ihm angemessenen architektonischen Ausdruck bekommt.

Die bekannte Totenstube setzte er gezielt außerhalb des Friedhofs, da er sie als eine Station zwischen Sterben und Begraben werden sieht. Das Gebäude ist in Holz und dem lokalen Strickbau folgend, ausgeführt. Caminada schätzt die Plastizität dieser Holzbauweise. Die weiße Kaseinfarbe an der Fassade lässt das Gebäude der Kirche zugehörig erscheinen. Der Architekt bemerkt, dass früher kaum ein fremdes Material in die Dörfer gelang, im Gegensatz zur heutigen Zeit, in der kaum noch ein Material lokal hergestellt und verarbeitet wird.

Caminada, der seit 2004 eine Professor für Architektur und Entwurf an der ETH Zürich innehält, realisierte 2001-04 ein Mädcheninternat in Disentis. Er vertritt hierbei die These, dass Gemeinschaft nur bedingt funktionieren kann. So besteht das plastische Gebäude aus vier unterschiedlichen Geschossen mit jeweils einem eigenen Zugang von der Straße, um die Möglichkeit zu gewährleisten, sich aus dem Weg gehen zu können. Ein aus Beton gefertigter Funktionskubus, der eine Treppe, eine Ofennische mit Sitzecke und Stauraum aufnimmt, bildet die Mitte. Hier besteht die Möglichkeit für die in Einzelzimmer untergebrachten Mädchen miteinander in Kontakt zu treten. Die ausformulierten Sitzfenster in den privaten Zimmern sei der beste Platz, so Caminada.

Caminada, der noch immer in seinem Heimatdorf Vrin wohnt und arbeitet, versteht das Kosmopolitische als Denkart und versucht die kulturellen Differenzen als Arbeitsmethode zu nutzen: „Differenz bildet sich aus der Gesamtheit spezifischer Eigenschaften des Ortes und der sich darauf beziehenden Kultur.“

Des weiteren zieht er eine Bilanz seiner Arbeit gibt Anhaltspunkte für den architektonischen Entwurf: „Der Entwurf, der die Frage nach der Identität des Ortes stellt, ist nicht nur von ästhetischer Relevanz, er folgt einem tief menschlichen Bedürfnis.“

Wir bedanken uns bei allen Akteuren dieser Vortragsreihe und freuen uns auf die nächsten spannenden Vorträge des architectural tuesdays!

 

Fotos: Heike Fischer
Text: Lynn Kunze