architectural tuesday | Caroline Bos | Nachbericht

In einem Vortrag im Rahmen des „architectural tuesday“ der Fakultät für Architektur hat sich Caroline Bos, Mitgründerin des Architekturbüros UNStudio, Amsterdam, mit den „Perspektiven des Digitalen“ auseinandergesetzt. Ihr zur Seite standen mit Sontaya Bluangtook (Senior Architectural Designer) und Nikoleta Mougkasi (Junior Architectural Designer) zwei Mitarbeiterinnen des Büros. Grundlegend für die Arbeit des weltweit operierenden UNStudios ist die Überzeugung, dass die Vielfalt, die durch verschiedene Perspektiven entsteht, individuelle Lösungsansätze und Gestaltungsmöglichkeiten ermöglicht.

Vortrag ‚Perspectives of the Digital‘
Caroline Bos, UNStudio
02. Juni 2020 im Rahmen des architectural tuesday

nochmal anschauen: www.youtube.com

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Anhand des frühen Projekts der Erasmusbrücke in Rotterdam,  Ben van Berkel und Caroline Bos 1989 entworfen haben, zeigte Bos, wie aus einfachen geometrischen Formen auch im Architekturentwurf vor dem digitalen Zeitalter eine zeitgenössische Formensprache entwickelt  werden konnte. Computerdaten wurden hier vor allem genutzt, um Brückenteile im Laserschnittverfahren zuzuschneiden. Mit dem Aufstieg des Internets und der sozialen Medien wurde die Erasmusbrücke zu einem Identifikationssymbol der Bevölkerung Rotterdams und Umgebung. Die Erasmusbrücke steht für viele geschichtete architektonische Bedeutungen – die wichtigste Wahrnehmungsebene sei, so Caroline Bos, eine metaphorische Ebene: Die Verbindung von Menschen.

Aus der inhaltlichen und persönlichen Verbundenheit vieler Beteiligter ging wenig später United Net Studio („UNStudio“), das gemeinsame Büro von Ben van Berkel, Caroline Bos und mehreren anderen  hervor.

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Ein Schlüsselprojekt des Büros ist das 2006 fertiggestellte Mercedes-Benz-Museum in Stuttgart.

Dem Besucher soll hier ein außergewöhnliches Erlebnis geboten werden Die damaligen technischen Hilfsmittel waren zwar bereits entwickelt, jedoch nicht fortschrittlich genug, um den räumlichen Anforderungen des Gebäudes genüge zutun. Deshalb beruht dieser Museumsbau vor allem auf einer mathematisch basierten, raumschiffartigen Konzeption.
Dem Besucher soll die Entscheidung überlassen sein, welche Erfahrungen er mit der Ausstellung und dem Gebäude machen könnte, da sich die Gebäudewahrnehmung durch den Blick nach draußen, in die Ausstellung oder durch die Geschwindigkeit der Bewegung im Raum  verändert.

Für UNStudio, so Caroline Bos, sei das Mercedes-Benz-Museum eine Möglichkeit gewesen, neue digitale Verfahren und Möglichkeiten zu testen und an die Grenzen des technisch Machbaren zu gelangen. 

Ein gegenwärtiges Großprojekt von UNStudio ist der Brainport Smart District (Konzept: 2018) im Süden von Amsterdam. Das Gebiet hat eine Größe von 150 Hektar und 1.500 Wohnhäuser und einen zwölf Hektar großen Business Park umfassen.

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Teil der auf zehn Jahre angelegten Konzeption ist die Erarbeitung eines Masterplans, der von allen Akteuren eine Kreislaufwirtschaft einfordert. So soll eine neue Nachbarschaft als ästhetisch anregende, gesunde und nachhaltige Umgebung entwickelt werden, die alle Lebensbereiche der Einwohner erfasst. Während des Entwurfsprozesses erleichtert die Arbeit mit digitalen Datenplattformen und die Auswertung von gemeinsamen Datensammlungen planerische Entscheidungen, die den Entwicklungsprozess beeinflussen.

Jedem Konzept gehen Fragen nach Ziel und Methode voraus und bilden den Grundstein für weitere Projekte. Primäre Ziele wie Zukunftssicherheit und ein Design für Menschen versprechen ein langfristig erfolgreiches Konzept, ebenso wie eine veränderbare Architektur und die Erzeugung von   Communities und Netzwerken.

Sontaya Bluangtook, Senior Design Architektin des UNStudios, erläuterte anschließend am Beispiel des Hanwha Tower in Seoul, wie UNStudio mit seiner Architektur dazu beiträgt, eine Marke zu entwickeln. Das Büro gewann 2014 einen Wettbewerb um die Gestaltung der Fassade des Hanwha Headquarters. Am Anfang des Entwicklungsprozesses standen konzeptionelle Fragestellungen. Hanwha ist einer der größten Hersteller von Solarenergiesystemen. Deshalb war eine der  wichtigsten Fragen, wie man das Firmenprodukt in das Gebäudedesign integrieren konnte 

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UNStudios Lösung sah eine Verbindung von Technologie und Architektur vor: Form und Aussehen der Solarpaneele sollten in die Fassadenarchitektur einfließen. Dafür wurde eine Software entwickelt, die die Verteilung der Solarpaneels systematisch anordnete, woraus vier verschiedene Modelle hervorgingen.

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Die dabei entwickelte Software wurde auch für den WASL Tower in Dubai verwendet: Hier ermöglicht die Fassadengestaltung einen 360-Grad-Blickwinkel und verwendet zwei verschiedene Module: Die Südseite ist mit soliden Materialien verkleidet, die einen Hitzeschild bilden, die Nordseite mit halbtransparenten Elementen, die eine 60prozentige Lichtdurchlässigkeit haben. Digitale Techniken haben bei diesen Projekten vor allem die Definition unterschiedlicher Lösungsansätze und die Lokalisierung von Problemen erleichtert.

So konnten Licht- und Schattenstudien angefertigt werden, die die  Verhältnisse über das ganze Jahr abbilden. Durch die einfache Lesbarkeit der Analysen ist es möglich, dass jeder Mitarbeiter jederzeit in das Projekt einsteigen kann. Die Vollendung des Towers ist für 2021 geplant.

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Nikoletta Mougkasi, Junior Architectural Designer, erläuterte, dass der Grundriss des Terminals 3 des Taiwan Taoyuan International Airport, den UNStudio 2015 entworfen hat, auf einem Polygon beruht. Die einzelnen darüber liegenden Strukturen verschmelzen miteinander zu einem gemeinsamen Ganzen. Bei UNStudio greift man auf Rhino basierende Plugins zurück, um geometrische Formen und Raumdispositionen in Varianten beim Gebäudeentwurf planen und umsetzen zu können. Eine Aufgabe der Junior Designer ist die Entwicklung der Algorithmen. Jedes Programm und jedes Plugin wird mit einem anderen Algorithmus versehen, sodass das Programm selbst nicht ermitteln kann, welcher Entwurf die beste Version darstellt. Die Ergebnisse der Rechenvorgänge werden jeweils als Optimum betrachtet, die Auswahl der Variante obliegt den Architekten.

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Die Neuausstattung der UNStudio Tower Lobby (2016-2018) ist die Überarbeitung eines Projekts von UNStudio aus dem Jahre 2009. In der Mitte der Lobby wird ein Kronleuchter als Mittelpunkt hervorgehoben. Die Beleuchtungsinsel dient als Wegweiser für mehrere Eingänge. Seine horizontalen Teile bestehen aus dreidimensional geformten Schaumstoffplatten, die mit kupferfarbenen Rohren unterschiedlicher Länge ausgestattet sind. Die Anordnung dieser Elemente wurde ebenfalls mit Hilfe von Algorithmen erarbeitet.

Text: Carsten Spernat
Bilder: UNStudio & aus dem Vortrag