architectural tuesday Belgien | Xaveer de Geyter | Nachbericht

Am 16. Januar 2018 geht der architectural tuesday Belgien in die letzte Runde: wir begrüßen Xaveer De Geyter aus Brüssel an der Fakultät. Professor Daniel Lohmann leitet den Abend ein und stellt De Geyter als den wohl „internationalsten Gast“ der Reihe vor.
Der Architekt begann in den frühen 80er Jahren seine Mitarbeit in Rem Koolhaas’ Büro OMA. Dort war er neun Jahre lang tätig, während er nebenbei bereits an eigenen Projekten arbeitete. Schließlich gründete er 1997 XDGA, ein international orientiertes Büro, das Architektur, Städtebau und Landschaftsarchitektur in unterschiedlichen Maßstäben und Ebenen betreibt. In den vergangenen 20 Jahren hat XGDA an zahlreichen internationalen Wettbewerben teilgenommen.

Xaveer De Geyter

Xaveer De Geyter, der mit seiner Zusage für den architectural tuesday verhältnismäßig lange auf sich warten ließ, stellt zu Beginn seines Vortrages das Thema der Reihe in Frage. Regionale Tendenzen, so erläutert er, seien in der heute so globalisierten Welt kein interessanter Blickwinkel auf zeitgenössische Architektur. Er stellt gar die Frage in den Raum, ob regionale Tendenzen überhaupt noch existieren. Zumindest seien diese zu heutigen Zeiten keine spannenden Strömungen mehr: die typischen „Betonboxen“, die einige Jahre in der Schweizer Region entstanden, stellen für De Geyter zum Beispiel keinen besonderen Reiz dar.
Auch in der Belgischen Architektur findet er keine eindeutigen regionalen Tendenzen. Nach den 50er Jahren, so De Geyter, herrschte ein sehr negatives Klima in der Belgischen Architekturszene. Wie schon vor ihm Sprecher erläuterten, nahm die Politik großen Einfluss auf die Vergabe größerer Projekte. So gab es laut De Geyter „keinen Grund, kreativ zu sein“ – fast 30 Jahre lang passierte hier wenig Spannendes. Erst mit der Gründung der EU 1992 zog frischer Wind ein. Zahlreiche Wettbewerbe schufen eine neue Dynamik. Doch auch hier fragt De Geyter nach der Existenz regionaler Tendenzen und stellt ein spannendes Forschungsprojekt vor:
In verschiedenen Regionen Europas untersucht er die Verflechtung von bebautem und unbebautem Raum. Unterschiedliche Landschaften werden abgebildet, indem auf großmaßstäblichen Karten der bebaute Raum als weiße Fläche und der unbebaute Raum als schwarze Fläche dargestellt wird. So zeigt De Geyter zum Beispiel London oder eine Region in der Schweiz, aber auch das Belgische Flandern. Hier sind der bebaute und der unbebaute Raum im Vergleich zu den anderen Beispielen besonders stark miteinander verwoben. Die schwarzen Flächen ziehen sich bis in die Städte hinein. „Die Landwirtschaft ist hier noch überall“, so De Geyter. Vor diesem Hintergrund beginnt er mit einer Werkschau seiner zahlreichen Projekte.

 

Als erstes Projekt stellt Xaveer de Geyter den Kitchen Tower (2003–2011) in Brüssel vor: Aufgrund einer Umstrukturierung des Campus wurden neue Räumlichkeiten für Klassenräume einer Kochschule benötigt. Diese sind übereinander angeordnet; im obersten Geschoss befindet sich ein Restaurant, welches Speisen der Schüler anbietet. Als 14-geschossiger Turm repräsentiert der Kitchentower nicht nur den gesamten Campus, sondern orientiert sich an der alten Struktur der Gebäude mit industriellem Charakter. Anstatt die Horizontalität der umgebenden Bebauung zu übernehmen, überträgt der Kitchentower den Charakter in die Vertikale.

Blick auf den Kitchentower

Materialität und Innenperspektive

Grundrisse des Kitchentowers
Kitchen Tower | Drei expemplarische Grundrisse: Leserestaurant, Bar, Restaurant

Beim Entwurf für das College of Europe in Brügge (2001–2008) wurde auf den kleinen Maßstab der mittelalterlichen Stadt Rücksicht genommen. Um den besonderen Stadtcharakter zu bewahren, sind in der Stadt beispielsweise keine großen Glas- oder Betonfassaden erlaubt. Für die zwei neuen, ergänzenden Gebäude haben XDGA eine rasterhafte Lochfassade aus Beton entworfen, welche im Innenraum komplett verglast ist. Die Fassade erhält so eine Struktur und gleichzeitig Tiefe.

Lageplan College of Europe
Lageplan College of Europe

Historischer Kontext

Perspektive bei Tag

Ansicht in der Dämmerung

Zwei weitere Projekte befassen sich mit der Neustrukturierung zweier Plätze in Brüssel mit hohem Verkehrsaufkommen.
Als eine wichtige Qualität der Stadt Brüssel sieht der Architekt die Spannung, welche durch die Konfrontation verschiedenster Nachbarschaften entstehe. Der Square Rogier (2006–2017) war bis zum zweiten Weltkrieg ein funktional geordneter Platz, bis in den 50er Jahren die Nordstation verlegt wurde. Der Platz ist komplett unterbaut: es befinden sich unterirdisch hier neben der U-Bahn auch Parkplätze, ein Kongresszentrum und Einkaufsmöglichkeiten. XDGA haben neben einer Reorganisation der U-Bahn neue, verbindende Flächen geschaffen, sowie eine Vertikale Verbindung hergestellt. Die Treppenform repräsentiert diese neue vertikale Zirkulation. Zudem wird der Einfall von Tageslicht ermöglicht. Überirdisch ragt das 64 Meter breite Dach über den Bürgersteig hinaus.

Square Rogier bei Nacht | Schnitt durch den Square Rogier

Vertikale Zirkulation und Lichteinfall im Treppenhaus

Treppenhaus und Dachkonstruktion

Der Square Schuman (2010–2017) steht ist umrahmt von vielen politischen Gebäude. Er wirkt wie ein großer Kreisverkehr, der den starken Verkehr regelt. Er vielmehr eine „ungenutzte Insel“ als ein Platz. Es fehlt eine definierte Begrenzung. Die Nutzung als Start- und Endpunkt des Marathons zeigt jedoch, dass kulturelles Potential besteht. Der Entwurf von XDGA antwortet auf die politische Umgebung: Ein „Open-air-parliament“ soll attraktiven Raum für die Bevölkerung bieten. Definiert wird der Platz durch topografische Schwellen. Zudem stellt er die Verbindung von Infrastruktur und öffentlichem Raum dar; die Form ermöglicht einen Zugang zur U-Bahn. XDGA gewann im Wettbewerb den 1.Platz, realisiert wird der Entwurf jedoch nicht.

Square Schuman Lageplan

Schnitt und Modell des Schuman Squares

Ein weiteres Projekt des Büros wurde in Antwerpen realisiert. Hier gibt es nur sehr wenige und zudem kleine öffentliche Parks. Daher war die Vorgabe für die Province Headquarters (2011–2018), die Fläche für die Büros und Kongressräume möglichst kompakt zu halten und somit zusätzliche öffentliche Grünfläche zu realisieren. Dabei sollte eines der Bestandsgebäude erhalten bleiben. Um den Forderungen gerecht zu werden, planten XDGA ein „Brückengebäude“ über das Bestandsgebäude. Dieses wurde letztendlich aus Kostengründen doch abgerissen und als transparenter Glasquader neu gebaut. Im Kontrast dazu steht das massive Brückengebäude.
Während das ehemalige Gebäude als Grenze fungierte und den nach hinten liegenden Grünbereich von der Öffentlichkeit abschottete, löst der Entwurf den Konflikt zwischen Vorder- und Rückseite, da neue Blickbeziehungen geschaffen werden.
Die Dreiecksstruktur der Fassade hat nicht nur optische, sondern auch energetische Vorteile; so wird die Fensterfläche im Vergleich zur Rechtecksform insgesamt minimiert, der Tageslichteinfall im oberen Bereich, also dort wo er benötigt wird, aber maximiert.

Grundrissrotation und Lageplan
Grundrissrotation und Lageplan

Rendering des Province Headquarters

Innenperspektive mit dreieckigen Fenstern

Der Wettbewerb für das Musée des Beaux-Arts (2015) in Tournai hatte das Ziel, das in den 30er Jahren von Victor Horta entworfene Museum zu erweitern und enger in die Umgebung einzubinden.
Der Entwurf von XDGA definiert die Räume neu, indem der zentrale, mit Glas überdachte Raum des Museums Teil des öffentlichen Stadtraums wird. Die Museumsfunktionen werden in den vier Flügeln sowie einem gläsernen Neubau untergebraucht. Die Erschließung der einzelnen Flügel erfolgt über den zentralen öffentlichen Raum. Der Anbau als offener Raum für Ausstellungsflächen ist durch bewegliche Wände variabel nutzbar. Auch ist er bewusst höher als das historische Gebäude.

Ansicht des Entwurfs

Neue Gliederung des Museums

Neue Gliederung des Museums, Grundriss

Perspektive Innenraum

Xaveer De Geyter lieferte einen gelungen Abschluss der Belgien-Reihe des architectural tuesday. Im kommenden Semester geht es unter einem neuen Thema weiter. Dieses Mal wird es nicht um ein Land gehen, sondern um die abstrakte Beziehung von Philosophie und Architektur .Wir freuen uns auf spannende Vorträge!