architectural tuesday Belgien | Pierre Hebbelinck | Nachbericht

Am 28. November ging der architectural tuesday Belgien in die zweite Runde: wir durften den Architekten und Editor Pierre Hebbelinck aus Lüttich an der Fakultät begrüßen. Sein Vortrag trug den Titel „Local Architecture“.
Die Gäste im vollen Karl-Schüssler-Saal erwartete zunächst ein ungewohnter Anblick: die Bühne war gefüllt mit zahlreichen Modellen und Büchern, die Hebbelinck vor seinem Vortrag beinahe hektisch auf Kisten und Tischen drapiert hatte. Auch bat er im Vorfeld um Flipchart und Tageslichtprojektor, um skizzieren zu können. Als Sabine Schmidt und Professor Daniel Lohmann den Gast begrüßten und kurz vorstellten, schienen sie bereits zu wissen: dies könnte ein ungewöhnlicher architectural tuesday werden.

Der gut gefüllte Karl-Schüssler-Saal
Pierre Hebbelinck leitete seinen Vortrag mit einem Einblick in die aktuelle Situation der Belgischen Architekturszene ein. Er betonte den Einfluss der Politik; meist würden für Bauprojekte nur wenig Gelder zur Verfügung gestellt. So ist Belgiens Architektur manchmal für eigensinnige und teils fast lustige entwurfliche Lösungen bekannt. Hebbelinck jedoch betonte die hohe Qualität der Konstruktionen und des Handwerks und erzählte von zahlreichen Veröffentlichungen und Ausstellungen, mit der er der Belgischen Architekturszene Gehör verschafft. Ganz im Sinne des Titels der Vortragsreihe – „Regionale Tendenzen in der Belgischen Architektur“ – stellte er im Folgenden seine Projekte gegliedert nach den Regionen des Landes vor.

Pierre Hebbelinck mit Modell

Ein Projekt, das besonders starken Bezug zu seiner Umgebung nimmt, ist das Wohnhaus Schaap-Vogelesang im Süden Belgiens, unweit der Grenze zu Luxemburg. Das turmartige Wohnhaus ist aus rohem Schiefer konstruiert – ein Material, das für die umgebende Region von großer Bedeutung ist und das architektonische Bild der Ortschaften prägt. In Hanglage ist der Bau am höchsten Punkt des Grundstückes platziert und fügt sich kompakt in die Landschaft ein. Zu drei Seiten ist die dunkle Fassade bis auf wenige, gezielt gesetzte Öffnungen fast geschlossen. Die vierte Fassade öffnet sich hingegen fast vollständig und erlaubt einen weiten Blick in das hügelige Umland.

Zwei Bilder des Gebäudes

Pierre Hebbelinck sprach wiederholt über sein Interesse an individuellen Lösungen für das Abführen des Regenwassers und zeigte einige, teils fast etwas merkwürdig anmutende, Konstruktionen. Bei Haus Schaap-Vogelesang hat er jedoch auf auffällige Speier oder Fallrohre verzichtet – der Regen tröpfelt langsam an der Fassade herab und soll so die Bewegung des Wassers auf eigene Weise inszenieren.

Ein größeres Projekt Hebbelincks ist das Théâtre de Liège. Hier wurde ein historisches Gebäude im Stadtkern von Lüttich reaktiviert und durch angrenzende Neubauten ergänzt. Die zentralen Funktionen des Theaters wie der Hauptsaal und das Foyer finden im Altbau Platz. Die Anbauten befinden sich größtenteils im Blockinneren. Trotz der teils sehr komplexen Strukturen schafft die mit opaken Glaselementen verkleidete Fassade ein einheitliches Bild. An zwei Stellen bricht die Gebäudestruktur – fast im wahrsten Sinne des Wortes – in den Straßenraum hervor: hier mussten zwei schmale Altbauten aus dem Stadtbild weichen.

Vom alten Teil des Theaters erhielt Pierre Hebbelinck viel des historischen Charmes, durchbrach das Bild jedoch gezielt doch skulpturale Einbauten wie die steile hölzerne Tribüne. Er zeigte in seiner Präsentation auch Bilder von den Spuren der Renovierung. Diese galt es für Hebbelinck jedoch nicht gänzlich auszubessern – er empfand sie als durchaus erhaltenswert, bilden sie doch den Prozess ab, den das Gebäude durchlaufen hat.
Hier wurde eine wichtige Haltung Pierre Hebbelincks besonders deutlich: seine Architektur strebt nicht nach Perfektion. Vielmehr scheint er sie als Prozess zu verstehen und findet so immer wieder eigenwillige Lösungen für seine entwurflichen Aufgaben. Bei jedem seiner Projekte setzt er sich individuell mit Konstruktion, Ort und Material auseinander. Er schafft es so, seine persönliche Note einzubringen. Die Modelle seiner Entwürfe, die er in jedem Bauwerk unterbringt, scheinen dies nur zu unterstreichen.

Pierre Hebbelinck mit Modell

Auch viele der von ihm herausgegebenen Bücher zeigten eine sehr eigene Herangehensweise. So versetzte eines die Besucher in besonderes Staunen: das winzige Buch war ein Würfelchen mit einer Kantenlänge von nur wenigen Zentimetern; auf jeder Seite eine einzelne Abbildung eines Gebäudes.
Pierre Hebbelinck hielt einen spannenden und sympathischen Vortrag und zeigte sich als leidenschaftlicher Architekt, der durchaus auch einmal über sich selber lachen kann.

Wir sind gespannt auf die weiteren Gäste, die wir in den kommenden Wochen an der Fakultät erwarten. Weiter geht es mit Paul Robbrecht vom Architekturbüro Robbrecht en Daem in Gent, den wir am 5. Dezember in Köln begrüßen dürfen.

 

Fotos des Abends: Lucas Wölfl