09.12.2025 | Zwänge und Potentiale der Standardlösung
Input-Vortrag:
. Prof. Dr. Sonja Hnilica, Baugeschichte und Architekturtheorie, TU Dresden
Podium:
. Merlin Bauer, Aktions- und Konzeptkünstler, Initiator von „Liebe deine Stadt“
. Prof. Dr. Rainer Schützeichel, Architekturtheorie TH Köln
. Leonie Pfistner und Lorenz Hopen, Studierende der Mastervertiefung Strategien des Entwerfen und Konstruierens
Die Jahrzehnte des Booms nach dem Zweiten Weltkrieg waren geprägt von einer ungebremsten Fortschrittsgläubigkeit, verbunden mit günstiger Verfügbarkeit von Baumaterial und Arbeitskraft, was zu tiefgreifenden Veränderungen in Architektur und Bauwirtschaft führte. Neben der beispiellosen Produktion von Wohnraum erlebte diese Zeit eine massive Bautätigkeit in allen Bereichen, vor dem Hintergrund des „Bildungsschocks“ ab den 1960er Jahren nicht zuletzt auch im Hochschulbau.
Ein Mittel der Wahl, um die immense Nachfrage nach Neubauten schnell und effizient zu befriedigen, wurde der Systembau. Die Vorfabrikation, bereits in der Zwischenkriegszeit zum Credo des Neuen Bauens geworden, hielt nun endgültig Einzug in die tägliche Baupraxis. Das Bauen wurde rationalisiert, Bauteile im Werk oder auf der Baustelle vorfabriziert. Bausysteme wurden modular und somit offen, erweiterbar und flexibel angelegt.
Das Ingenieurwissenschaftliche Zentrum (IWZ) in Deutz mit seinem markanten Hochhaus ist in zweierlei Hinsicht ein Repräsentant seiner Erbauungszeit: Erstens ein Systembau, realisiert im Hochschulbausystem NRW 75. Zweitens ein Leuchtturmprojekt der Demokratisierung von Bildung, erbaut auf der immer schon schief angeschauten rechten Seite des Rheins nahe den großen, bald schon in die Krise geratenen Industriearealen.
Doch die Standardlösung, die vor gerade mal einem halben Jahrhundert eine schöne neue Zukunft versprach, ist allgemein heute in Bedrängnis geraten. Systembauten dieser Generation sind Gegenstand des ästhetischen Unbehagens, und es stellt sich mancherorts heraus, dass sie nicht ganz so flexibel sind wie ursprünglich gedacht – wohl auch deshalb, weil sich Ansprüche (und Anspruchsdenken) verändert haben. Gleichzeitig aber sind diese Bauten robust, vielfältig codierbar, und sie sind schlicht und ergreifend: schon gebaut.
Was also sind die Zwänge der Systembauten dieser Zeit, und welche Probleme entstehen daraus? Welche Potenziale liegen aber auch in der Standardlösung, die mit ihnen gefunden wurde? Und muss vielleicht die Wahrnehmung dieser Bauten selbst verändert werden, um deren Potenziale und die in ihnen eröffneten Chancen sichtbar zu machen?
Diesen und weiteren Fragen werden wir an diesem fünften Abend des architectural tuesday nachgehen.

Referent*innen des Abends
Input-Vortrag
Sonja Hnilica

Prof.in Dr.in Sonja Hnilica
Prof. Dr. habil. Sonja Hnilica forscht und lehrt zur Theorie und Geschichte von Architektur und Stadt. Sie lehrte unter anderem an der TH Lübeck, der TU Dortmund, der Universität Heidelberg sowie der TU Wien.
Hnilica publiziert zur Architektur- und Städtebaugeschichte des 19. bis 21. Jahrhunderts und wirkt außerdem als Ausstellungskuratorin. Ihre Arbeit bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Architekturtheorie und Baugeschichte, wobei sie besonders an transdisziplinären Perspektiven interessiert ist. Thematische Schwerpunkte liegen in der Architektur der Nachkriegsmoderne, der Architekturtheorie der Moderne, dem Bildungsbau, der Großstadtbildung, Architekturmedien, Gendertheorie, sowie der Wissensbildung in Architektur- und Städtebaudiskursen.
Podium
Merlin Bauer

Merlin Bauer
Das bildnerisches Werk des österreichischen Aktions- und Konzeptkünstler Merlin Bauer konzentriert sich auf Fotoarbeiten, Objekte, Installationen und Interventionen im öffentlichen Raum. Schwerpunkte legt der Künstler auf die Themen Architektur, Stadtplanung, Vergänglichkeit, An- und Abwesenheit, kulturelle Identitätsbildung des einzelnen Bürgers und auch deren Verlust, und, nicht zuletzt, auf den Umgang von Behörden und Entscheidungsträgern mit der ihnen anvertrauten Stadt.
Mit der Kölner Aktion Liebe deine Stadt ehrte Merlin Bauer über mehrere Jahre hinweg exemplarische Bauten der Kölner Nachkriegsarchitektur und brachte sie damit zurück ins kollektive Gedächtnis:
Podium
Rainer Schützeichel

Prof. Dr. Rainer Schützeichel
Rainer Schützeichel ist Professor für Architekturtheorie an der TH Köln. Zuvor lehrte er als Professor für Architektur- und Stadtbaugeschichte an der FH Potsdam und war an der ETH Zürich in Forschung und Lehre tätig, unter anderem als wissenschaftlicher Mitarbeiter und Co-Programmleiter der MAS/CAS-Programme für Konstruktionserbe und Denkmalpflege. Seine Promotion an der ETH Zürich wurde 2017 mit dem Theodor-Fischer-Preis des Zentralinstituts für Kunstgeschichte ausgezeichnet. Neben seiner akademischen Laufbahn war Schützeichel als Redakteur für Fachzeitschriften wie tec21 und Der Architekt tätig und ist seit 2013 Mitglied der Redaktion der Online-Zeitschrift archimaera. Seine Arbeit verbindet architekturtheoretische Forschung mit einem besonderen Interesse an der Geschichte und Theorie des Städtebaus.
Podium
Leonie Pfistner

Leonie Pfistner
Leonie Pfistner ist Masterstudentin der Vertiefung SEK. Sie absolvierte ihren Bachelor in Architektur und Städtebau an der Fachhochschule Potsdam. Während ihres Studiums arbeitete sie ehrenamtlich im Planungsteam des WIA Festivals 2021 und gründete gemeinsam mit Kommilitoninnen das studentische Kollektiv Perspektiv;wechsel, das sich seit 2022 für mehr Diversität an der FH Potsdam einsetzt. Nach beruflichen Stationen in Architekturbüros in Berlin und Münster zog sie 2024 für ihr Masterstudium nach Köln.
Podium
Lorenz Hopen

Lorenz Hopen
Student der Mastervertiefung Strategien des Entwerfens und Konstruierens.