Prof.in Dr. Gabu Heindl | 10.12.2024

Nachbericht

Politisches Handeln. Über radikale Partizipation und Streit in der Stadtentwicklung.

Im Stadtraum wird Politik gemacht: durch Gentrifizierung und abschottende Sicherheitsmaßnahmen, auch durch Anpassung an Investment-Interessen. Und es wird Gewinn gemacht: mit Wohnungsnot, mit Betongold, mit urbanem Raum als Kapitalanlage. Wie kann eine Politik in der Stadt aussehen, die an Demokratie und Solidarität orientiert ist? Und was ist die Rolle von Architektur und Planung in Stadtkonflikten?

Am 10.12.2024 hielt die österreichische Architektin und Stadtplanerin Gabu Heindl gemeinsam mit dem Absolventen Lukas Würtenberger zu diesen Fragen einen Vortrag.

 

Lukas Würtenberger leitete mit der Vorstellung seiner Masterthesis „Dienst nach [einer] Vorschrift. Über radikale Partizipationsgedanken, das politische an Planungsprozessen und eine neue Rolle der Architekt: innen“ in den Abend ein. Er spricht über die Verantwortung von Planern und Planerinnen in der Baubranche und fordert eine kritische Auseinandersetzung mit der aktuellen Praxis, die von politischen, wirtschaftlichen und rechtlichen Zwängen bestimmt wird. Er hebte hervor, dass Planer und Planerinnen eine zentrale Rolle zwischen den politischen, rechtlichen und wirtschaftlichen Anforderungen und deren technischer Umsetzung einnehmen. Die politische Dimension der Arbeit von Planern und Planerinnen sollte stärker in den Vordergrund gerückt werden, meint Lukas Würtenberger. Er kritisiert den vorherrschenden Tenor der Alternativlosigkeit in der Baubranche, der durch industriegesteuerte Normen und Vorschriften geprägt ist.

Planer und Planerinnen sind oft in ihrer Handlungsfreiheit eingeschränkt und sehen sich gezwungen, den vorgegeben Standards zu folgen, ohne alternative, nachhaltigere Lösungen zu forcieren. Es wird betont, dass sich die Planer und Planerinnen in einer demokratischen Gesellschaft ihrer Verantwortung bewusst werden müssen und aktiv in den gesellschaftlichen Wandel eingreifen sollten, anstatt sich passiv auf bestehende Normen zu stützen.

Der anschließende Vortrag von Gabu Heindl analysiert anhand von konkreten Projekten städtebauliche Konfliktzonen. Als Grundlage für den Vortrag dient ihr Buch „Stadtkonflikte. Radikale Demokratie in Architektur und Stadtplanung“.

Gabu Heindl gab in ihrem Vortrag einen tiefgründigen Einblick in die politische Dimension von Stadtentwicklung. Sie machte deutlich, wie stark politische Entscheidungen unseren Lebensraum prägen. Von Gentrifizierung über Sicherheit bis hin zur Frage, wem der städtische Raum eigentlich gehört. Sie hebt hervor, dass Städte nicht nur physische Räume, sondern auch politische Arenen sind, in denen gesellschaftliche und politische Auseinandersetzungen ausgefochten werden. Sie fordert eine intensivere und tiefere Beteiligung der Bürger und Bürgerinnen an städtischen Entscheidungsprozessen, die über bloße Anhörungen hinausgeht. Sie engagiert sich dafür, dass Menschen aktiv in die Planung und Gestaltung von Städten einbezogen werden und nicht nur als passive Empfänger von politischen Entscheidungen dienen.

Gabu Heindl übt scharfe Kritik an der aktuellen Praxis der Stadtentwicklung, die vor allem von ökonomischen Interessen bestimmt wird. Sie argumentiert, dass städtische Entwicklungsprojekte häufig im Dienste von Profitmaximierung und Kapitalverwertung stehen, anstatt die Bedürfnisse der Bevölkerung, insbesondere der sozial benachteiligten Gruppen, zu berücksichtigen.

Gabu Heindl entwirft die Vision einer Stadt, in der soziale Gerechtigkeit im Mittelpunkt steht. Sie fordert, dass alle Bewohner und Bewohnerinnen unabhängig von ihrem sozialen oder ökonomischen Status, gleichen Zugang zu Wohnraum, Bildung, Gesundheitsversorgung und öffentlichen Räumen haben. Eine gerechte Stadt ist eine Stadt, in der die Bedürfnisse der benachteiligten Gruppen Vorrang haben und soziale Ungleichheiten aktiv bekämpft werden. Gabu Heindl hat die Vorstellung einer sozial und ökologisch nachhaltigen Stadtentwicklung. Sie sieht eine Stadt vor, die in Einklang mit der Umwelt gestaltet wird, mit einem Fokus auf grüne Infrastruktur, nachhaltige Mobilität und klimafreundliche Bauweisen. Eine Stadt soll so gestaltet werden, dass bezahlbarer Wohnraum erhalten bleibt und soziale Durchmischung gefördert wird. Ein Ort, an dem Lebensqualität für alle gewährleistet wird, ohne dass arme oder sozial schwächere Bevölkerungsgruppen verdrängt werden. Gabu Heindls Vortrag ist eine klare Aufforderung zum Nachdenken und Handeln. Er verdeutlicht uns, dass wir alle eine Rolle bei der Gestaltung unserer Städte spielen. Die Frage ist nur: Wie aktiv wollen wir diese Rolle wahrnehmen?

Gabu Heindls Vortrag ist ein wichtiger Beitrag zur aktuellen Debatte über Stadtentwicklung. Er zeigt uns, dass wir die Zukunft unserer Städte selbst in der Hand haben.

Über

Prof.in Dr. Gabu Heindl

… ist Professorin und Leiterin des Fachgebiets für Bauwirtschaft und Projektentwicklung | ARCHITEKTUR STADT ÖKONOMIE an der Universität Kassel.

Aktuelle Forschungsprojekte des Fachgebiets: „A Room of Her* Own. Gender Wealth Gap und (Wohn)Eigentum“ und „Leere Stadt? Zur Erfassung und Aktivierung von Leerstand“. Gabu Heindl war als Professorin für Städtebau an der TH Nürnberg

Ihr Wiener Büro GABU Heindl Architektur fokussiert auf öffentlichen Raum, öffentliche Bauten, bezahlbares Wohnen sowie auf Kollaborationen in den Bereichen Geschichtspolitik, Ausstellungsarchitektur und eigenständige kritisch-künstlerische Praxis. Aktuelles Buch, mit Drehli Robnik: Nonsolution: Zur Politik der aktiven Nichtlösung im Planen und Bauen, Hamburg 2024.